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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Vitry, Paul: Die Ausstellung der altfranzösischen (primitiven) Malerei in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0177

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 21. 15. April

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte ete., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE AUSSTELLUNG DER ALTFRANZÖSISCHEN
(PRIMITIVEN) MALEREI IN PARIS

Wie glänzend die Ausstellung in Brügge 1902
auch war und wie sehr sie die fruchtbare Tätigkeit
der flandrischen Ateliers des 15. Jahrhunderts darzutun
verstand, sie hat doch verschiedene wichtige Fragen
offen gelassen. Vor allem ist es die Frage nach dem
Ursprung der Schule, welche dort beständig in die
Augen sprang: die Geschichte der flandrischen Malerei
im 15. Jahrhundert beginnt mit einem Meisterwerk,
dem der Gebrüder van Eyck. Es gab nichts oder
wenigstens fast nichts in Brügge, was es möglich
machte, auf die Vorläufer dieses Kunstwerkes zu
fahnden.

Andererseits figurierte in der Ausstellung von
Brügge eine gewisse Anzahl von Gemälden, die, aus
dem 15. Jahrhundert stammend, ziemlich abweichen
von dem Geist und der Ausführungsweise der Bilder,
welche aus Gent, aus Brügge, aus Brüssel und aus
Antwerpen herrühren. Eine große Zahl von Kritikern
haben einstimmig in ihnen die, bis jetzt herzlich
schlecht definierten, charakteristischen Eigentümlich-
keiten französischer Kunst gefunden. Andere haben
die Gelegenheit benützt, um den Franzosen, nicht
ohne Grund, aber immerhin in etwas übertriebener
Weise, ihre Gleichgültigkeit vorzuwerfen gegenüber
allem, was die französische Kunst des 15. Jahrhunderts
betrifft. Wir haben an anderer Stelle1) versucht, die
Zusammenstellung einer Anzahl von Arbeiten von
Lafenestre, Paul Durrieu, Henri Bouchot, Camille Benoit
u. s. w. nebst deren Hauptresultaten zu geben, welche
ganz im Gegenteil den Beweis liefern für das Interesse,
welches sich bei uns schon seit ziemlich langer Zeit
für diese Frage geregt hat.

Nichtsdestoweniger sind wir noch recht weit da-
von entfernt, eine Geschichte der französischen Ma-
lerei vor der klassischen Renaissance des 16. Jahr-
hunderts zu besitzen, trotz der großen Anzahl von
Texten, welche schon herausgegeben worden sind
und welche, ein Ersatz für einen fehlenden franzö-
sischen Vasari oder Karel van Mander, uns Namen
und Tätigkeit einer Menge von Malern entdeckt haben,

1) Paul Vitry, De quelques travaux recents relatifs ä
la peinture francaise du XV. siecle. Paris, Rapilly. 1903.

die während des 14. und 15. Jahrhunderts in Frank-
reich wirkten.

Nichts vermöchte diesen Studien zu größerem
Nutzen zu gereichen als die Ausstellung alter fran-
zösischer Maler, welche seit nahezu einem Jahre in
Paris vorbereitet wird, und deren Eröffnung am
11. April stattfinden wird und zwar für die Klein-
malereien in der Bibliotheque nationale und gleich-
zeitig im Pavillon de Marsan (Palais du Louvre) für
die Gemälde, Zeichnungen und Tapisserien. Die ver-
schiedenen dort zusammengestellten Serien sollen,
nach der Absicht der Organisatoren, die Entwicke-
lung der Zeichenkunst dartun in ihrer Anwendung
auf die Ausschmückung von Manuskripten, auf die
zur Verzierung von Altären und Betstühlen bestimmten
Paneele, auf die Herstellung von Emailmalerei und
hauptsächlich auf jene herrlichen gotischen Tapisserien,
die eine bedeutende Stelle einnehmen müssen in der
Geschichte der Malerei des Nordens, weil sie den
logischen Ersatz bedeuten für die in unseren Gegen-
den fast unverwendbaren und vergänglichen Fresken
des Südens. Von einer Ausstellung der Glasmalerei-
erzeugnisse hat man wegen der Schwierigkeiten sie
zu transportieren und auszustellen Abstand nehmen
müssen. Allein es wäre doch von Wichtigkeit, das
Werk unserer Glasmaler in einer Gesamtschätzung
der Malerei der französischen Schule des Mittelalters
nicht zu vernachlässigen.

Diese Übersicht wird sich von der Regierungs-
zeit der Prinzen von Valois, von Philipp VI. an bis
zu Heinrich III., erstrecken. Es sind ungefähr die
gleichen Zeitgrenzen, welche man sich in Brügge ge-
steckt hatte. Offenbar ist es befremdend, die Bezeich-
nung »Primitifs« z. B. auf einen Clouet anzuwenden,
allein das gilt auch für Pourbus, und selbst für Memling
oder Botticelli. Trotz des Ansehens, in welchem
heutzutage die Erzeugnisse der Frühmeister stehen,
ist es doch gang und gäbe geworden, mit diesem
Namen der Primitiven, der ehedem eine Art Schimpf-
wort bedeutete, oder doch wenigstens ein Ausdruck
der Geringschätzung und der Verachtung war, die
Künstler der vorklassischen Periode zu bezeichnen,
wobei man die klassische Blüte für Italien im 16.,
für die nördlichen Länder im 17. Jahrhundert be-
ginnen läßt. Jene Bezeichnung kam in Aufnahme
wie eine bequeme Etikette ohne besonders bestimmten
 
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