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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schmidt, Karl Eugen: Die Pariser Salons
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0217

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 26. 27. Mai

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion .und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE PARISER SALONS

Im ganzen sind in den beiden Salons zusammen
beinahe achttausend Kunstwerke ausgestellt. Ich be-
darf daher wohl weiter keiner Entschuldigung, wenn
ich in dem folgenden Bericht nur schnell und flüchtig
durch die Säle eile. Wollte ich gründlich sein, so
müßte ich ein mehrbändiges Werk schreiben. Die
Societe nationale hat ihre Ausstellung vierzehn Tage
früher als die Societe des artistes francais geöffnet,
und daher fange ich meine Besprechung bei dem
jüngeren und, Gott sei Dank, nicht ganz so umfang-
reichen Salon an.

Den Eintretenden begrüßt, wie das seit einigen
Jahren so ist, Rodin, der seine Arbeit mitten unter
der Kuppel aufgestellt hat. Es ist die als Krönung
seiner vielbesprochenen Höllenpforte gedachte Statue
des Denkers, der gleichnamigen Medicistatue Michel-
angelos nicht unähnlich, was die Stellung anlangt.
Nur ist Rodins Denker nackt, und seine Hirnarbeit
wird durch äußerste Anspannung aller Muskeln aus-
gesprochen. Finger und Zehen krampfen sich ein,
die Adern, Sehnen und Muskeln schwellen bis zum
äußersten Maß. Vielleicht wird diese allzu körper-
liche Interpretation einer seelischen Tätigkeit hier und
da Anstoß erregen, und auch die nachlässige und
skizzenhafte Ausführung, besonders der Rückenpartien,
muß gerügt werden. Daß in einer Bronzestatue die
Eindrücke der tonknetenden Finger sichtbar sind, wie
das Rodin und mehr noch seine Nachahmer lieben,
ist störend und unstatthaft. Noch schlimmer ist es,
wenn an der definitiven Bronze die nachlässig auf
die Masse geworfenen Tonklumpen da sitzen, wo Haut,
Muskeln, Knochen modelliert sein sollten. Der Rücken
des Denkers kann ohne Übertreibung mit einem Kar-
toffelsack verglichen werden, der seinen knolligen In-
halt anzeigt. Die ganze Vorderansicht ist ungleich
sorgfältiger herausgearbeitet, und wahrscheinlich rechnet
Rodin damit, daß bei der fertigen Höllenpforte die
krönende Gestalt nur von vorne gesehen werden kann.
Ebenso erklärt sich das starke Neigen der Gestalt nach
vorn, die in der Natur unfehlbar zum Fallen führen
würde, aus der Berechnung des hohen Standpunktes
der Figur. Sieht man sie aus der gehörigen Tiefe,
so verschwindet diese Neigung. Trotz der gerügten
Einzelheiten macht die Arbeit einen gewaltigen Ein-

druck und darf zu den bedeutendsten Skulpturen
Rodins und unserer Zeit gezählt werden. Alles in
allem freilich scheint mir die Hauptstärke Rodins, was
das Material anlangt, mehr im Marmor als in der
Bronze zu liegen, vermutlich weil der erstere der
skizzenhaften Ausführung feindlich ist, während die
Bronze zum schnellen und bequemen Abguß des kaum
gekneteten Tonklumpens verlockt. Eine überaus schöne
und erfreuliche Arbeit ist die weibliche Marmorbüste
Rodins, die der langen Reihe seiner ganz einwand-
freien Meisterwerke anzugliedern ist und deren lebendige
Natürlichkeit, frische, urwüchsige Auffassung und über-
aus vollendete Modellierung das Werk in eine Reihe
mit den Büsten Houdons und der Renaissance stellen.

Konstantin Meunier hat wieder einen Bergmann
geschickt, eine lebensgroße Bronzefigur, sitzend und
eine kurze Weile von der Arbeit ruhend. Die Arbeit
hat die bekannten Vorzüge des großen Meisters, ohne
irgendwie aus der Reihe zu treten. Die übrigen großen
Skulpturen bieten wenig Bemerkenswertes, dagegen
weist die Kleinskulptur in jedem Jahre mehr tüchtige
Vertreter auf. Neben Carabin, der heuer ein tanzen-
des Pärchen aus einem Pariser Vorstadtball und ein
bretonisches Ringerpaar zeigt, beide prickelnd von
raschem Leben, nenne ich ganz besonders den in
Paris lebenden Deutschen Bernhard Hoetger, dessen
»Machine humaine«, ein durch die stumpfsinnige Ar-
beit zur Maschine gewordener halbnackter Karren-
zieher mit mächtig ausgebildeten Muskeln und ver-
kümmertem Gehirn, in Idee wie in Ausführung das
höchste Lob verdient.

In der Malerei können wir die von verschiedenen
bekannten Künstlern ausgestellten Arbeiten unberück-
sichtigt lassen. Weder Gervex noch Carolus Duran
verdienen — trotz ihres einstigen Könnens — ein
Verweilen bei ihren heutigen Arbeiten. Dagnan-
Bouveret wird auch immer salonfähiger und charakter-
loser, Boldini ist so übermäßig manieriert, daß er sich
wie ein karikierender Schauspieler ausnimmt, Bil-
lotte, Menard, Carriere, Lhermitte, Guignard, Le Sidaner,
Thaulow, Roll, ein Dutzend andere bleiben sich jahr-
aus, jahrein so ähnlich in ihren Arbeiten, daß man
beim besten Willen nichts Neues mehr über sie sagen
kann: schickten sie uns aus Versehen die schon vor
zwei, drei oder fünf Jahren gezeigten Bilder noch
einmal, die Ähnlichkeit könnte kaum größer sein.
 
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