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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schleinitz, Otto von: G. F. Watts
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0265

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 31. 12. August

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein 81 Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

Die nächsten Nummern der Kunstchronik und des Kunstmarktes erscheinen am 9. September.

G. F. WATTS |

George Frederick Watts wurde am 23. Februar
1817 in London geboren. Es sind neunundsechzig
Jahre her, daß er sein erstes Selbstporträt malte und
seit siebenundsechzig Jahren stellt er in der König-
lichen Akademie Werke von sich aus. Welch ge-
waltige Arbeit liegt zwischen jenem Anfangspunkt
seiner Kunstbetätigung und dem am 1. Juli in »Little
Holland House« (London) erfolgten Ableben des
Meisters, dessen künstlerisches Schaffen und Privat-
leben ohne jeden Rest sich deckte. Es werden nahe
an tausend Gemälde, Kreidezeichnungen und Bild-
werke sein, die er ganz vollendete, und von denen
mir ca. achthundert bekannt sind.

Die englische Tages- und Fachpresse, die Watts
einmütig und mit vollem Recht als den bedeutendsten
englischen Künstler seiner Epoche und als einen der
edelsten und besten Menschen aller Zeiten feiert, ist
der Ansicht, daß es kaum möglich sein dürfte, eine
chronologisch geordnete Biographie von ihm zu ver-
fassen. Als Grund hierfür wird der Umstand ange-
geben, daß der Meister selbst nur in den seltensten
Fällen den Zeitpunkt angeben konnte, an dem er
eins seiner Werke als beendet betrachtete. Trotzdem
glaube ich und erhoffe, allerdings durch die ganz be-
sondere Hilfe und Güte des Verstorbenen und seiner
Gattin, den Beweis bald zu erbringen, daß an einen
chronologischen, durchgehenden Faden gereiht, selbst-
verständlich nicht in starrer Form, dennoch in ge-
dachtem Sinne sich eine wirkliche Lebensgeschichte
des Meisters schreiben läßt. Zweifellos ist dies eine
mühevolle und schwierige Arbeit, aber die bisherigen
englischen Biographen machten sich denn doch ihre
Aufgabe etwas zu leicht, indem sie in der Haupt-
sache die Chronologie und damit den Werdegang
ganz außer Augen ließen und sich dariTTE begnügten,
die Werke von Watts einfach in symbolische, ideale
und dann in reale Porträtmalerei einzuteilen. Wenn
seiner Landschaften nur wenig erwähnt wird, so kann
dem eine gewisse Berechtigung nicht versagt werden,
denn es war nicht sein stärkstes Arbeitsfeld.

Der innere Zusammenhang vieler Gemälde des
Meisters spannt sich mitunter über einen Zeitraum

von zehn und mehr Jahren. Ich will der Kürze halber
von den vielen vorliegenden Fällen nur einen, der
allerdings für die Denkungsweise dieses großen Mannes
mit dem Kinderherzen sehr charakteristisch erscheint,
hervorheben. Für die Diplomagalerie hatte er »die
Verstoßung Kains« gemalt. Kaum aber war das Bild
vollendet, als es ihm in seinen Innern keine Ruhe
ließ und er den Gedanken nicht los werden konnte,
daß ein Mensch für immer verflucht sein sollte.
Wenn schon die Menschen eine Verjährung eintreten
lassen, um wie viel mehr wird Gott Gnade für Recht
ergehen lassen. »Zehn Jahre der Buße,« sagte Watts,
»ist genug gesühnt,« und so kam denn nach diesem
Zeitpunkt sein Gemälde »Aussöhnung mit Kain« an
die Öffentlichkeit. In einem solchen und ähnlichen
Sinne gedacht sind aber ganze, obschon zeitlich weit
auseinanderliegende Bilderzyklen entstanden. Die bessere
Natur im Menschen sollte schließlich immer zum
Siege gelangen!

Alle Werke von Watts atmen Höhenluft. Persön-
lich war der Meister der einfachste, der gütigste
Mensch, der mildeste Beurteiler anderer, sich und
seine Kunst in den Dienst der Allgemeinheit stellend;
er besaß den reinsten und lautersten Charakter, und
alle, die das Glück gehabt, mit ihm in nähere Be-
rührung zu kommen, empfanden sofort die unnach-
ahmliche Würde, die von seinem ganzen Wesen,
völlig ungewollt, ausging. Nur gegen sich selbst war
er streng. Ob man ihn tadelte oder lobte, blieb ihm
so gut wie gleichgültig, es kam ihm nur darauf an
zu lehren und zu bessern. Watts gilt in seinem
Vaterlande als ein Prophet! Alles in allem war er
eine wirkliche Persönlichkeit, und der verstorbene
Professor von Lenbach rechnete ihn zu denjenigen
zeitgenössischen Künstlern, deren Nachruhm für alle
Zeiten gesichert ist. Sein Motto »The utmost for
the highest«, das man besser nicht wörtlich, sondern
etwa »Alles für das Höchste« übersetzt, war schon
von frühester Jugend an sein Wahlspruch gewesen.
Er hat ihn wahr gemacht und das ganze Ich, die volle
Kraft für seine höchsten Ideale eingesetzt. Er war
ein geistiger Riese, der unbekümmert um die, die
kristallhelle Quelle der Kunst mit Schutt bedrohenden
Zwerge, ruhig und gemessen seinen eigenen künst-
 
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