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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 59.1925/​1926 (Oktober-März)

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Nr. 31
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Sydow, Eckart von: Kunst und Wirtschaft bei den Naturvölkern
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https://doi.org/10.11588/diglit.41232#0077

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Kunst und Wirtschaft bei den Naturvölkern

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greifende Gesetzlichkeit aufgewiesen ist, muß zweifelhaft werden angesichts
der Einwände, die auf anderen Gebieten der primitiven Kunstwelt sich er-
heben, zu denen wir uns jetzt wenden.
Die Eskimos müßten als Jäger und Fischer der materialistischen Auf-
fassung gemäß eine rein naturalistische Kunst haben. Ihre Ritzzeichnungen
und in geringerem Maße ihre Schnitzereien stimmen hiermit überein. Aber
sie haben neben diesen sensorischen Arbeiten auch Masken von ganz ab-
strakter, ganz imaginativer Formung, — bei ihnen möchte die eigentliche
Kunstleistung erst beginnen1. Ähnliches gilt von den Australiern: auch sie
haben eine Fülle naturalistischer Werke, aber von höherem Werte sind ihre
abstrakteren Höhlenmalereien, und von ungleich größerem Interesse sind
ihre ganz und gar abstrakt beritzten tjurungas, — flache Steine oder Hölzer,
deren Punkte, Striche, Linienkomplexe einen durchaus naturhaften Inhalt
bedeuten2. Die Ableitung der nordwestamerikanischen Indianerkunst,
wie sie Kühn gibt, trifft nur einen Teilbezirk ihres künstlerischen Kreises,
denn in ihren Kunstgebilden gibt es neben ihrer rein naturalistischen und
ihrer dekorativ-naturalistischen noch eine dritte Formensprache, die so ab-
strakt ist, daß die Identifikation ihrer Inhalte mit Naturdingen nicht immer
restlos gelingt3.
Auf der einen Seite ist also die Gleichzeitigkeit von Sensorismus-Na-
turalismus der Kunst und Wirtschaft keineswegs überall nachzuweisen. Auf
der anderen Seite erheben sich aber auch durchgreifende Einwände gegen
die Theorie vom Zusammenfallen künstlerischer und wirtschaft-
licher Abstraktion-1magination. Die Ackerbauer des Kameruner
Graslandes4, die rein abstrakt arbeiten müßten, haben eine sehr stark
naturalistische Kunst. Das gleiche gilt von hervorragenden Arbeiten der
Bakuba und Warna im Kongogebiet5. Ebensowenig kann man die
Kunstübungen Melanesiens in der westlichen Südsee als eine schlechthin
imaginative bezeichnen. Im Gegenteil steckt in den großen Ulifiguren
Neu-Mecklenburgs6, Melanesiens hervorragendsten Bildwerken nächst den
Skulpturen der Osterinsel, vielfach ein eminenter Naturalismus, wenn auch
gestrafft durch dekorativen Zug. Absolut naturalistisch sind die ITäuptlings-

1) Da bei Kühn diese und die folgenden Werke gar nicht oder nur ganz flüchtig
erwähnt werden, verweise ich auf die Abbildungen in E. v. Sydow: »Kunst der Natur-
völker . . .« (1923, Berlin), S. 278 ff.
2) Vgl. Strehlow: »Aranda u. Loritja«, I. Bd., z. B. 1., 3. Taf.
3) E. v. Sydow 1. c., S. 293.
4) Ebenda, S. 112 ff.
5) Ebenda, S. 131, 141 f., 145 ff.
6) E. v. Sydow: »Ahnenkult und Ahnenbild der Naturvölker« (1924), Taf. 4,5.
 
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