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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 59.1925/​1926 (Oktober-März)

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Nr. 48/49
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Literatur / [Notizen] / Kunstmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41232#0295

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Literatur

725

LITERATUR
Ludwig Baldass,Joos vanCleve —
derMeisterdesTodes Mariä — Mit
85 Abb. Krystall-Verlag G. m. b. H.,
Wien 1925.
Diese Monographie bietet außer über-
aus fleißiger Zusammenstellung des rei-
chen Bildermaterials mit fast lückenloser
Illustrierung stilkritische Erörterungen
über die Entwicklung des Meisters —
nicht ohne neue und wertvolle Ergeb-
nisse. Aus der Bilanzierung tritt deutlich
hervor: einerseits die Fruchtbarkeit des
zwischen 1510 und 1540 in Antwerpen
tätigen Malers, andererseits seine Unselb-
ständigkeit und Aufnahmefähigkeit. Sehr
groß ist die Zahl der Repliken, Kopien
und Nachahmungen, namentlich bei den
Madonnen in Halbfigur; viele Motive hat
der Meister entlehnt, so von Jan van
Eyck, Gerard David, Quentin Massys,
Dürer und Lionardo. Er nahm und gab ;
in seinem »Werk« hat sich viel gesammelt
und strahlt von hier wieder aus.
Mit dem 1507 datierten Flügelpaar,
Adam und Eva im Louvre beginnt die
Reihe. Wesentlich aus dem Studium der
Formsprache ordnet der Verfasser das
umfangreiche »Werk«, die Bildnisse, die
Madonnentafeln und die Flügelaltäre.
Inschriftliche oder urkundlich ermittelte
Daten helfen in wenigen Fällen. Fast
überall hat der Blick des Verfassers ein-
leuchtende Einfügung getroffen. Beidem
überaus großen Material könnte ich wohl
einige Ergänzungen bieten, z. B. auf ein
prachtvolles Männerporträt (von 1535
ungefähr) hinweisen, das kürzlich aus
Genueser Privatbesitz in den Berliner
Handel gelangt ist. Das Gesamtbild wird
aber durch solche Flinzufügungen nicht
verändert.
.Joos van Cleve wurde 1510 Meister in
Antwerpen, war aber schon 1507, wenn
nicht noch früher, tätig. Wo hat er
vor 1510 gearbeitet, wo seine Ausbil-
dung empfangen? Als neue, gut begrün-
dete Vermutung trägt'B. die These vor,
Joos sei von Brügge nach Antwerpen
gekommen. In der Tat ergibt die Betrach-
tung der ersten Arbeiten enge Verbunden-
heit mit der spezifisch Brügger Produk-
tion.

Problematisch bleibt der Ausgang.
Die letzten um 1540 entstandenen Ar-
beiten betrachtend, verläuft sich der
Verfasser im Irrgarten der Sotte-Cleve-
Frage. Bekanntlich erzählt van Mander
von einem Maler namens Joos van Cleve,
der in England geisteskrank geworden
sei. Diesen Meister, der im Wettstreit
mit Antonis Mor in England, also uml550,
gearbeitet haben soll, hat man unter-
schieden von dem in Antwerpener Ur-
kunden nachgewiesenen Joos van Cleve,
der erfolgreich mit dem Meister des To-
des Mariä identifiziert worden ist. In
Urkunden ist ein zweiter, jüngerer Joos
van Cleve, der mit van Manders »Sötte
Cleve« identisch sein könnte, nicht gefun-
den worden. Nun hat man auf Grund
eines gestochenen Porträts ein Bildnis in
Windsor, zu dem ein Frauenporträt als
das Gegenstück gehört, dem zweiten
Meister zugewiesen und eine Anzahl an-
derer Bildnisse stilkritisch dem Paar in
Windsor angeschlossen. Diese Gruppie-
rung hat sich nicht bewährt. —• Die Bild-
nisse sind verschieden voneinander. Der
»Mann mit der schönen Hand« in München
rührt von Jan van Scorel her, das ausge-
zeichnete Frauenporträt von 1543 in Ber-
lin (der Mann dazu in Antwerpen) wahr-
scheinlich von Wilhelm Keij. Jedes der
Bilder muß für sich geprüft werden. In
jedem Fall ist zu fragen: liegt ein Spät-
werk des uns bekannten Joos van
Cleve vor oder die Leistung eines Nach-
folgers. Als einer der Nachfolger kommt
der Sohn in Betracht, der nicht Joos
sondern Cornelis hieß. Bei der Erwä-
gung dieser Fragen kommt B. nicht los
von den Irrtümern der älteren Litera-
tur. Ein in diesem Zusammenhang be-
deutsames Bild, das der Verfasser nicht
kennt, ist kürzlich vom Fürsten von
Liechtenstein der Wiener Akademie ge-
schenkt worden.
Irrtümlich dem Meister oder seiner
Werkstatt zugeteilt sind zwei Bilder,
nämlich die aus Leipziger Privatbesitz
stammende Allegorie (Abb. 80) und die
Geburt Christi in der Dresdner Galerie
(Abb. 74.) Diese Tafeln stammen von
einem faßbaren Nachfolger, der noch an-
deres geschaffen hat.

Nr. 48/49, 6./13. III. 26
 
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