Literatur
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Räumen der Royal Academy eröffnet. Man hat aus bestimmten Gründen nur
ältere Kunst ausgestellt. Was man in Paris dagegen wird zeigen müssen,
ist unbedingt zeitgenössische deutsche Kunst in klarster Prägung.
Schon vor zwei Jahren habe ich in Westheims Kunstblatt eine Unterhaltung
mit Picasso wiedergegeben, der nichts anderes sagte, als was ich aus dem
Munde vieler französischer Künstler damals in Paris gehört habe: man
kennt deutsche Kunst nicht, man kennt weder Corinth noch die Leute der
Brücke, noch Kokoschka, noch Nolde; man interessiert sich für sie, für
diese wilde, leidenschaftliche, konzessionslose Kunst, die so tief verschieden
ist von dem, was man jenseits des Rheines macht. Man will nicht die lie-
benswürdigen Produkte der deutschen Matisse-Schüler sehen und vorgeführt
bekommen, was man in Paris viel besser kann. Der französische Künstler
ist ehrlich, Künstler durch und durch. So hat er auch ein sehr feines
Empfinden für die Ehrlichkeit in einer anders gewachsenen Kunst. Ob er
alles schön findet, darauf kommt es nicht an. Wir brauchen die Produkte
der »Brücke«-Leute nicht zu verstecken und auf einmal heute, wo der Wind
milder weht, nicht Crucifige zu schreien, nachdem wir noch vor fünf Jahren
Hosianna gesungen haben. In der Politik aller Länder geht heute der Ruf
nach Ehrlichkeit und Klarheit. Achten wir darauf, daß der Fremde diese
auch in unserer Kunst findet. Kuhn
LITERATUR
Hermann Beenken, Romanische
Skulptur in Deutschland (11. und
12. Jahrh.). Verlag Klinkhardt & Bier-
mann, Leipzig. 1924.
Beenkens Buch will nicht eine Ge-
schichte der romanischen Plastik in
Deutschland sein. Worauf es dem Ver-
fasser ankommt, ist, unter Zugrunde-
legung eines umfassenden Materials das
entwicklungsgeschichtliche Problem zu
klären. Der Gewinn dieser Bemühung
ist eine neue Anschauung der Entwick-
lung romanischer Plastik, die als gesetz-
mäßiger, sich streckenweise in kristal-
linischer Folgerichtigkeit vollziehender
Prozeß erscheint.
In knappen, geistreichen Formulie-
rungen wird in der Einleitung ein Über-
blick über die Entwicklung gegeben,
werden Sinn und Bedeutung dieses Form-
wandels und seine Verwurzelung im
Menschentum jener Zeiten aufgedeckt.
Das dieser Schilderung zugrunde liegende
Material erfährt im Hauptteil des Buches
eine sehr sorgfältige und eingehende Be-
handlung. In ausführlichen, in sich ab-
geschlossenen Analysen, die zugleich
Grundlage wie Ergänzung und Erweite-
rung des in der Einleitung Dargelegten
sind, werden die einzelnen Werke nach
ihrer künstlerischen und historischen
Bedeutung untersucht. Von einem star-
ken sinnlichen Verhältnis zum Kunst-
werk getragen und die künstlerische
Wesenheit der einzelnen Schöpfungen
lebendig aufzeigend, würden diese Be-
schreibungen dem Buche seinen Wert
sichern, auch wenn die wissenschaftlichen
Ergebnisse weniger bedeut end wären. Die
Abbildungen, die über den Kreis der be-
kannten und immer wieder veröffent-
lichten Werke weit hinausgreifen und
zahlreiche schöne Detailaufnahmen ent-
halten, sind den Beschreibungen über-
sichtlich gegenübergestellt. Die Klischees
sind fast durchweg gut gelungen.
Die Geschichte der romanischen Pla-
stik ist nach Beenken die Entwicklungs-
geschichte des monumentalen Stils im
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Räumen der Royal Academy eröffnet. Man hat aus bestimmten Gründen nur
ältere Kunst ausgestellt. Was man in Paris dagegen wird zeigen müssen,
ist unbedingt zeitgenössische deutsche Kunst in klarster Prägung.
Schon vor zwei Jahren habe ich in Westheims Kunstblatt eine Unterhaltung
mit Picasso wiedergegeben, der nichts anderes sagte, als was ich aus dem
Munde vieler französischer Künstler damals in Paris gehört habe: man
kennt deutsche Kunst nicht, man kennt weder Corinth noch die Leute der
Brücke, noch Kokoschka, noch Nolde; man interessiert sich für sie, für
diese wilde, leidenschaftliche, konzessionslose Kunst, die so tief verschieden
ist von dem, was man jenseits des Rheines macht. Man will nicht die lie-
benswürdigen Produkte der deutschen Matisse-Schüler sehen und vorgeführt
bekommen, was man in Paris viel besser kann. Der französische Künstler
ist ehrlich, Künstler durch und durch. So hat er auch ein sehr feines
Empfinden für die Ehrlichkeit in einer anders gewachsenen Kunst. Ob er
alles schön findet, darauf kommt es nicht an. Wir brauchen die Produkte
der »Brücke«-Leute nicht zu verstecken und auf einmal heute, wo der Wind
milder weht, nicht Crucifige zu schreien, nachdem wir noch vor fünf Jahren
Hosianna gesungen haben. In der Politik aller Länder geht heute der Ruf
nach Ehrlichkeit und Klarheit. Achten wir darauf, daß der Fremde diese
auch in unserer Kunst findet. Kuhn
LITERATUR
Hermann Beenken, Romanische
Skulptur in Deutschland (11. und
12. Jahrh.). Verlag Klinkhardt & Bier-
mann, Leipzig. 1924.
Beenkens Buch will nicht eine Ge-
schichte der romanischen Plastik in
Deutschland sein. Worauf es dem Ver-
fasser ankommt, ist, unter Zugrunde-
legung eines umfassenden Materials das
entwicklungsgeschichtliche Problem zu
klären. Der Gewinn dieser Bemühung
ist eine neue Anschauung der Entwick-
lung romanischer Plastik, die als gesetz-
mäßiger, sich streckenweise in kristal-
linischer Folgerichtigkeit vollziehender
Prozeß erscheint.
In knappen, geistreichen Formulie-
rungen wird in der Einleitung ein Über-
blick über die Entwicklung gegeben,
werden Sinn und Bedeutung dieses Form-
wandels und seine Verwurzelung im
Menschentum jener Zeiten aufgedeckt.
Das dieser Schilderung zugrunde liegende
Material erfährt im Hauptteil des Buches
eine sehr sorgfältige und eingehende Be-
handlung. In ausführlichen, in sich ab-
geschlossenen Analysen, die zugleich
Grundlage wie Ergänzung und Erweite-
rung des in der Einleitung Dargelegten
sind, werden die einzelnen Werke nach
ihrer künstlerischen und historischen
Bedeutung untersucht. Von einem star-
ken sinnlichen Verhältnis zum Kunst-
werk getragen und die künstlerische
Wesenheit der einzelnen Schöpfungen
lebendig aufzeigend, würden diese Be-
schreibungen dem Buche seinen Wert
sichern, auch wenn die wissenschaftlichen
Ergebnisse weniger bedeut end wären. Die
Abbildungen, die über den Kreis der be-
kannten und immer wieder veröffent-
lichten Werke weit hinausgreifen und
zahlreiche schöne Detailaufnahmen ent-
halten, sind den Beschreibungen über-
sichtlich gegenübergestellt. Die Klischees
sind fast durchweg gut gelungen.
Die Geschichte der romanischen Pla-
stik ist nach Beenken die Entwicklungs-
geschichte des monumentalen Stils im