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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 59.1925/​1926 (Oktober-März)

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Nr. 42/43
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Tietze, Hans: Alter und neuer Kurs in der österreichischen Musealverwaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.41232#0219

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KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER ALFRED KUHN
NR. 42/43 23./30. JANUAR 1926

ALTER UND NEUER KURS
IN DER ÖSTERREICHISCHEN MUSEALVERWALTUNG
VON MINISTERIALRAT A. D. PROF. DR. HANS TIETZE
Ende 1923 erschien meine Broschüre »Die Zukunft der Wiener Museen« (Wien,
Schroll); ich habe in ihr die Bedeutung darzulegen versucht, die der Wiener
Kunstreichtum für die Zukunft des neuen Österreich besitzt und wie jeder Versuch
eines Wiederaufbaus des Landes die trotz der herrschenden wirtschaftlichen Schwie-
rigkeiten gerade hier vorhandenen außerordentlichen Möglichkeiten ausnützen
müßte. Ich schrieb das Heft damals, weil ich das Gefühl einer bevorstehenden Krise
hatte; es kam im Oktober 1923 heraus, und man kann sagen, daß gerade von diesem
Monat an eine unaufhörliche Verschlechterung der Lage der Wiener Museen einge-
treten ist. Heute kann sie als trostlos bezeichnet werden, und wenn ich noch einmal
eine Schrift über die Zukunft der Wiener Museen schreibe, so würde ich sie »Die
Zerstörung der Wiener Museen« betiteln. Tatsächlich gibt, was gegenwärtig geschieht,
zu den allerschlimmsten Befürchtungen Anlaß. Diese Befürchtungen sind keine rein
lokale Angelegenheit; sie gehen nicht Wien und Österreich allein an, für deren po-
litische, wirtschaftliche und kulturelle Zukunft in der Welt das Vorhandensein dieses
alten Kulturbesitzes, den kein noch so reicher Nachbar in Jahrzehnten aus dem
Boden stampfen kann, allerdings ein unvergleichlich wichtiges Aktivum darstellt.
Die ganze gebildete Welt, zu deren internationalen Gütern dieser eigenartige Orga-
nismus der Wiener Kunstsammlungen gehört, ist daran interessiert, und vor allem
ist es die große deutsche Volksgemeinschaft, der es nicht gleichgültig sein kann,
wenn eine glorreiche Vergangenheit kurzsichtig vertan, eine stolze Zukunftshoffnung
mutwillig vernichtet wird. Weil ich an den Tag glaube, an dem das deutsche Volk
Rechenschaft fordern wird über den Kulturbesitz, der Österreich anvertraut ist,
deshalb möchte ich schon heute von der gefährdeten Lage dieses Besitzes Nach-
richt geben.
Daß die Wiener Sammlungen reich, sehr reich sind, ist nur allzu bekannt; denn
daraus hat sich die Meinung gebildet, daß sie einer Vermehrung nicht bedürfen,
sondern nur, wie sie sind, erhalten zu werden brauchen. Infolgedessen haben die
Wiener Kunstsammlungen, so weit sie dem Hof gehörten, an dem großen Wettstreit
nicht teilgenommen, der in der ganzen übrigen Welt das 19. Jahrhundert zu einem
musealen gemacht hat; während überall mit Feuereifer gesammelt wurde, ruhten
die Wiener Sammlungen — kleine Spezialgebiete ausgenommen — auf ihrem ver-
meintlich unerreichbaren Reichtum, die Galerie hat z. B. in den hundert Jahren,
in denen die Londoner National-Galerie oder das Kaiser-Friedrich-Museum geworden
sind, kein nennenswertes Bild zu erwerben für nötig erachtet. Während sich so der
Grundstock der Wiener Sammlungen mit höfischer Repräsentation begnügte, haben
die als Ergänzung entstandenen staatlichen Sammlungen an dem Vorgefundenen
kaiserlichen Besitz ein schweres Hindernis systematischen Aushaus gefunden. So
bildete das Ganze dieser Museen, als es 1919 in der Hand des Staates vereinigt
wurde, so reich es war, einen Torso, der jedoch die Mittel und Möglichkeiten zu
völliger Ausgestaltung in sich selber trug; es brauchte nur der ganze Kunstbesitz
des Staates zu einer wirklichen Einheit verschmolzen und als solche verwertet zu
werden, um das durch hundert Jahre Versäumte mit einem Schlage nachzuholen.
Zu diesem organisatorischen Grundübel kam als zweites derunerträgliche Raum-
 
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