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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 59.1925/​1926 (Oktober-März)

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Nr. 50/52
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Kuhn, Alfred: 50 Jahre Nationalgalerie: Ludwig Justi zum 50. Geburtstag
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Literatur / [Notizen] / Antiquariat / An die Leser
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https://doi.org/10.11588/diglit.41232#0322

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752

Literatur

lieh, jede die Kunstsammlung, die ihr notwendig. Schafft der Museums-
direktor aus der inneren Organik heraus, die entsteht, wenn der Geist der
Zeit sich mit dem Geist des Museums verbindet, so wird seine Tätigkeit
segensreich im weitesten Sinne sein. Alfred Kuhn

LITERATUR
Ludwig Justi, Giorgio ne. 2 Rde.
Verlag vonDietrich Reimer. Rerlin 1926.
Die zweite Auflage des vor 17 Jahren
zum ersten Male erschienenen Giorgione
von Ludwig Justi ist ein völlig neues
Buch geworden, kein Satz der alten Auf-
lage ist stehen geblieben. Der Umfang
ist ganz erheblich erweitert, aus einem
Textband von mäßigem Umfang wurden
zwei starke Textbände; die Bilder wer-
den sehr viel ausführlicher besprochen,
als dies im allgemeinen in kunstgeschicht-
lichen Werken üblich ist. Neu ist auch
die Einteilung des Stoffes: der erste Band
bespricht, unbeschwert von wissenschaft-
lichem Ballast, die dem Verfasser als
gesichert erscheinenden Werke des Mei-
sters in historischer Folge (darunter auch
Bilder, die bisher als strittig galten, ja
vom Verfasser selbst in der ersten Auf-
lage noch als zweifelhaft angesehen wor-
den waren, wie die sog. »Schiavona« der
Smlg. Cook in Richmond , die »Kreuz-
tragung« in S. Rocco und die »Salome« der
Galerie Doria in Rom). Der zweite Band
bringt dann die zum Teil besonders für
den Fachmann interessanten Erläute-
rungen und die Attributionsfragen.
Justi hat das große Verdienst, Gior-
giones Bedeutungzum ersten Male wieder
in das richtige Licht gerückt zu haben.
Giorgione erscheint jetzt wieder als der,
der er seinen Zeitgenossen war: der Schöp-
fer einer neuen Kunst, neuer Bildformen
und neuerBildinhalte,der bahnbrechende
Meister, der die Kunst nicht nur von der
Befangenheit des Quattrocento zur Frei-
heit der Hochrenaissance geführt hat,
sondern der in einigen seiner späteren
Werke sehr deutlich — wenn auch nur in
Ansäzen — bereits die Wendung zum
Barock vorbereitet. Es ist dabei beson-
ders wichtig zu bemerken, daß Justi
keineswegs eigentlich neueAttributionen
vornimmt, fast alle Bilder, die e'r Gior-

gione gibt, waren, mit Ausnahme des von
ihm entdeckten Selbstbildnisses, durch
alte Tradition dem Meister zugeschrieben
und galten zumeist Jahrhunderte hin-
durch in berühmten Sammlungen als
Werke des Giorgione (J. bemerkt hier
mit Recht, daß die alten Kenner und
Sammler keineswegs immer so naiv ge-
wesen sind, wie man sich das heute viel-
fach vorstellt). Interessant ist, wie J.
die allmähliche Entstehung des gänzlich
falschen Bildes, den Prozeß der allmäh-
lichen Verdunkelung des Giorgioneschen
Oeuvre schildert und erklärt.
W as die Schicksale der Justischen An-
schauungen seit Erscheinen der ersten
Auflage betrifft, so ist mir eine wohl-
begründete, ernst zu nehmende Wider-
legung derselben nicht bekannt gewor-
den —• Lionello Venturis Buch über
Giorgione und den Giorgionismo kann
nicht als solche betrachtet werden —,
ebensowenig freilich glaube ich, daß die
erweiterte Anschauung von Giorgione,
wie sie J. vertritt, wirklich schon, wie
J. zu glauben scheint (Bd. II, S.163), in
das allgemeine kunstgeschichtliche Be-
wußtsein übergegangen ist; wäre dies
tatsächlich der Fall, dann könnten nicht,
wie das gerade auch in der Gegenwart
wieder zu beobachten ist, die seltsamsten
und irrigsten Zuschreibungen — beson-
dersbeliebt ist es neuerdings, Sebastiano
del Piombo als Autor der Werke des
Giorgione zu nennen, auch J. selbst be-
klagt sich sehr lebhaft darüber — immer
wieder auftauchen.
War es schon ein besonderer Vorzug
der ersten Auflage, bei einzelnen schlecht
erhaltenen Bildern die Zuweisung nur
mit Vorbehalt. auszusprechen, überhaupt
nicht selten mit dem Urteil zurückzu-
halten, im Gegensatz zu der üblichen,
apodiktischen Sicherheit der meisten
»Kenner«, so ist diesmal J. in einzelnen
Fällen noch vorsichtiger geworden.
 
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