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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 59.1925/​1926 (Oktober-März)

DOI Heft:
Nr. 48/49
DOI Artikel:
Eberlein, Kurt Karl: Rousseau oder die Matrosenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.41232#0294

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Rousseau oder die Matrosenkunst


Henri Rousseau, Der Eiffelturm. Mit Genehmigung der Galerie Flechtheim
eines großväterlichen Geistes, der in der Großstadt des Lebens den Dialekt
des Jugendlandes weinerlich wiederlernt. All dies wäre achtens- und liebens-
wert, wenn nun nicht die Verwirrung der Kunstbegriffe verlangen würde,
den Mann im Kinde, das Kind im Manne als den wahren Meister zu be-
grüßen und im Naiven das Sentimentale zu heben. Nur ein im Grunde
kunstfeindliches Geschlecht lauscht auf das Wunderhorn der bärtigen Knaben,
die heute mit sachlicher Unschuld die Malerei des kleinen Moritz in Kurs
bringen. Dies Kapitel unserer Kunstgeschichte wird später einmal den
Titel haben: »Rousseau oder die Matrosenkunst«. Tiefer gesehen ist diese
zeitgemäße Überschätzung der Kunst des Nichtkönnens immer die not-
wendige Reaktion gegen die Überschätzung des Könnens der Kunst, ist sie
die Flucht ins Unbewußte, Unbedachte, Präkünstlerische, die Sehnsucht
nach dem verlorenen Paradies des Nochnicht, des Nichtmehr, das Heimweh
in die Nachtseite der Kunst, der Welt, der Seele — ist sie eine apotropäische
Geste des kunstmüden Europäers, der sich den Magen am Besten aller Kunst-
epochen verdorben hat, der sich am Vorabend der Götzendämmerung im Keller
des Geisterhauses nach dem Motto: „0 selig o selig ein Kmdnoch zu sein“,
von seinem Proteuskopfweh für ein paar Jahrminuten erholen möchte.
 
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