Literatur
605
paradoxe Tatsache, daß die neuere For-
schung zwar das Dunkel altchinesischer
Kunstgeschichte vielfach zu lichten be-
gonnen hat, daß aber die Kenntnis japa-
nischer Kunst, die jahrzehntelang im
Mittelpunkt des Interesses gestanden
hatte, sehr wenig noch gefördert worden
ist, da erst seit verhältnismäßig kurzer
Zeit Kunstforscher und Kunstschrift-
steller das von den Sammlern bereit-
gestellte Material ernstlich zu bearbei-
ten begonnen haben. So bleibt gerade
hier vieles noch nachzuholen. So reich-
lich die neuere Literatur über die Kunst
Chinas ist, so spärlich blieben die Werke
über japanische Kunst. Es ist kaum ein
Gebiet, das nicht neuer Bearbeitung und
Darstellung harrte. Es wäre an der Zeit,
Japan wiederzuentdecken, denn wenn
es seine Kultur von China empfangen
hat, so hat es doch selbständig die über-
kommene Form zu einer neuen Blüte
entwickelt.
Ein Werk, das ein Sondergebiet japa-
nischer Kunst gründlich durchleuchtet,
ist darum heute doppelt dankbar zu be-
grüßen, und es ist seinem Verfasser zur
Ehre zu rechnen, daß er Modeströmun-
gen zum Trotz eine seit mehr als einem
Jahrzehnt begonnene Arbeit mit nicht
ermüdendem Fleiß und unverminderter
Liehe zu seinem Stoffe zu einem guten
Ende geführt hat. So wurde das zwei-
bändige Werk, das Friedrich Perzynski
den japanischen Masken für Nö und
Kyögen gewidmet hat, zu einer der be-
deutendsten und wertvollsten Bereiche-
rungen europäischer Literatur über fern-
östliche Kunst. Es ist die Arbeit eines
Liebhabers, den die echte Begeisterung
für ein besonderes Kunstgebiet zum
Kenner werden ließ, der alle Gelehrsam-
keit sammelte, um sich seihst das Ver-
ständnis einer schwierigen Materie zu er-
schließen, und der die seltene Gabe freier
Darstellung besitzt, die ihn befähigt, er-
worbenes Wissen in literarisch wohlge-
schliffener Form dem Leser zu vermit-
teln.
Es macht den besonderen Reiz japa-
nischer Kunst, daß sie auf eine seit Jahr-
hunderten ungebrochene, noch heute
lebendige Tradition sich stützt. Chine-
Nr. 38/39. 19./26. XII. 25
sische Kunst gehört dem Sammler und
Archäologen, japanische Kunst gehört
lebendigem Gebrauch. Die kostbarsten
Geräte alter Töpferkunst dienen noch
heute der Teezeremonie, in der zugleich
die Gemälde der Meister ihre natürliche
Funktion erfüllen. Und ebenso findet das
uralte Nö-Spiel noch heute eifrige Pflege.
Die Masken, die von den berühmtesten
Meistern geschnitzt worden sind, ruhen
nicht in Sammlungen, sondern werden
von den Spielern angelegt, in den glei-
chen Stücken, für die sie vor Jahrhun-
derten geschaffen worden sind.
So bedeutet die Geschichte der japani-
schen Masken, die Perzynski geschrieben
hat, zugleich ein Stück ältester und doch
noch lebendiger Theatergeschichte, die
nicht aus alten Quellenschriften wieder
aufgebaut, die vielmehr aus unmittel-
barem Erlebnis geschildert werden kann.
Man kennt die Rollen, die in den aus-
drucksvollen Zügen der Masken ihre
Verkörperung finden, und jede einzelne
der vielen Masken des reichen Reper-
toires der Nö-Spiele weckt die unmittel-
bare Erinnerung an Aufführungen, in
denen diese Züge durch die Bewegungen
und die Stimme der Spieler zu vollem
Leben erweckt wurden.
Von solchen Erinnerungen an köst-
liche, vor der Nö-Bühne verbrachte
Stunden sind die meisterlich geformten
Inhaltsangaben der Spiele durchtränkt,
mit denen Perzynski die Deutung der
von den Meisterschnitzern gestalteten
Charaktertypen verknüpft. Immer wie-
der taucht man hinab in die Märchen-
welt alt japanischer Dichtung und Ge-
schichte, die durch die gespenstische
Welt der Masken seltsam verlebendigt
wird. Und einer nach dem anderen treten
die großen Meister der Schnitzkunst
selbst auf die Bühne, aus spärlichen
Nachrichten wird ihr Lehensschicksal,
aus erhaltenen, durch alte Tradition
ihnen zugeschriebenen Stücken wird das
Wesen ihrer Kunst erschlossen.
Gewiß mag vielfach hier Geschichte
schon von Mythenbildung so völlig durch-
rankt sein, daß endgültige Klarheit
kaum mehr gewonnen werden kann.
Einen Augenblick scheint es, als seien
605
paradoxe Tatsache, daß die neuere For-
schung zwar das Dunkel altchinesischer
Kunstgeschichte vielfach zu lichten be-
gonnen hat, daß aber die Kenntnis japa-
nischer Kunst, die jahrzehntelang im
Mittelpunkt des Interesses gestanden
hatte, sehr wenig noch gefördert worden
ist, da erst seit verhältnismäßig kurzer
Zeit Kunstforscher und Kunstschrift-
steller das von den Sammlern bereit-
gestellte Material ernstlich zu bearbei-
ten begonnen haben. So bleibt gerade
hier vieles noch nachzuholen. So reich-
lich die neuere Literatur über die Kunst
Chinas ist, so spärlich blieben die Werke
über japanische Kunst. Es ist kaum ein
Gebiet, das nicht neuer Bearbeitung und
Darstellung harrte. Es wäre an der Zeit,
Japan wiederzuentdecken, denn wenn
es seine Kultur von China empfangen
hat, so hat es doch selbständig die über-
kommene Form zu einer neuen Blüte
entwickelt.
Ein Werk, das ein Sondergebiet japa-
nischer Kunst gründlich durchleuchtet,
ist darum heute doppelt dankbar zu be-
grüßen, und es ist seinem Verfasser zur
Ehre zu rechnen, daß er Modeströmun-
gen zum Trotz eine seit mehr als einem
Jahrzehnt begonnene Arbeit mit nicht
ermüdendem Fleiß und unverminderter
Liehe zu seinem Stoffe zu einem guten
Ende geführt hat. So wurde das zwei-
bändige Werk, das Friedrich Perzynski
den japanischen Masken für Nö und
Kyögen gewidmet hat, zu einer der be-
deutendsten und wertvollsten Bereiche-
rungen europäischer Literatur über fern-
östliche Kunst. Es ist die Arbeit eines
Liebhabers, den die echte Begeisterung
für ein besonderes Kunstgebiet zum
Kenner werden ließ, der alle Gelehrsam-
keit sammelte, um sich seihst das Ver-
ständnis einer schwierigen Materie zu er-
schließen, und der die seltene Gabe freier
Darstellung besitzt, die ihn befähigt, er-
worbenes Wissen in literarisch wohlge-
schliffener Form dem Leser zu vermit-
teln.
Es macht den besonderen Reiz japa-
nischer Kunst, daß sie auf eine seit Jahr-
hunderten ungebrochene, noch heute
lebendige Tradition sich stützt. Chine-
Nr. 38/39. 19./26. XII. 25
sische Kunst gehört dem Sammler und
Archäologen, japanische Kunst gehört
lebendigem Gebrauch. Die kostbarsten
Geräte alter Töpferkunst dienen noch
heute der Teezeremonie, in der zugleich
die Gemälde der Meister ihre natürliche
Funktion erfüllen. Und ebenso findet das
uralte Nö-Spiel noch heute eifrige Pflege.
Die Masken, die von den berühmtesten
Meistern geschnitzt worden sind, ruhen
nicht in Sammlungen, sondern werden
von den Spielern angelegt, in den glei-
chen Stücken, für die sie vor Jahrhun-
derten geschaffen worden sind.
So bedeutet die Geschichte der japani-
schen Masken, die Perzynski geschrieben
hat, zugleich ein Stück ältester und doch
noch lebendiger Theatergeschichte, die
nicht aus alten Quellenschriften wieder
aufgebaut, die vielmehr aus unmittel-
barem Erlebnis geschildert werden kann.
Man kennt die Rollen, die in den aus-
drucksvollen Zügen der Masken ihre
Verkörperung finden, und jede einzelne
der vielen Masken des reichen Reper-
toires der Nö-Spiele weckt die unmittel-
bare Erinnerung an Aufführungen, in
denen diese Züge durch die Bewegungen
und die Stimme der Spieler zu vollem
Leben erweckt wurden.
Von solchen Erinnerungen an köst-
liche, vor der Nö-Bühne verbrachte
Stunden sind die meisterlich geformten
Inhaltsangaben der Spiele durchtränkt,
mit denen Perzynski die Deutung der
von den Meisterschnitzern gestalteten
Charaktertypen verknüpft. Immer wie-
der taucht man hinab in die Märchen-
welt alt japanischer Dichtung und Ge-
schichte, die durch die gespenstische
Welt der Masken seltsam verlebendigt
wird. Und einer nach dem anderen treten
die großen Meister der Schnitzkunst
selbst auf die Bühne, aus spärlichen
Nachrichten wird ihr Lehensschicksal,
aus erhaltenen, durch alte Tradition
ihnen zugeschriebenen Stücken wird das
Wesen ihrer Kunst erschlossen.
Gewiß mag vielfach hier Geschichte
schon von Mythenbildung so völlig durch-
rankt sein, daß endgültige Klarheit
kaum mehr gewonnen werden kann.
Einen Augenblick scheint es, als seien