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Rousseau oder die Matrosenkunsl
als in Frankreich, das
ihn sogar in denLouvre
aufgenommen hat, —
ist er überhaupt ein
Meister, nur ein Mei-
ster der Matrosen-
kunst, oder ist er einer
jener Seltenen, die, wie
etwa Caspar David
Friedrich, als tragische
Anachronismen ihr
eigenes Exil erobern?
Durchforscht man sein
Werk in dieser Aus-
stellung, die immerhin
32 ausgewählte Bilder
zeigt, so steht man
immer wieder vor Bil-
dern, die in ihrer ge-
schlossenen Farbform
Kunst sind, steht man
immer wieder vor Bil-
dern, die zweifellosMa-
trosenkunst sind. Da
sind Widersprüche,Ge-
heimnisse, Rätsel, die
wie Lügen quälen, wie
Masken reizen, wie Mißverständnisse ärgern. Was ist echt, was unecht,
wer ist Gläubiger, wer Schuldner — der Maler, der seine Bildchen träumte
und pinselte, der Beschauer, der den stillen, kleinen Autodidakten als Meister
preist, kauft, rühmt, liebt? Irgend etwas stimmt da nicht. Etwas ist faul.
Da stehen im gleichen Bilde erschaute, erlebte Bildformen einer liebevollen
Naturnähe neben 'gewußten leblosen Merkformen, die an ein kitschiges
Stickmuster erinnern. Da sind ornamentale, dekorative Blattypen einer
primitiven Erzählerfreude neben erahnten Wesensformen einer tiefen Innig-
keit. Da stilisiert sich ein Bildnis in das schlichte Monogramm künst-
lerischer Gestaltung, da posiert sich ein Don Juan in die zierlich-kitschige
Oldruckromantik einer verrauchten Zigarrenpackung. Der intellektuelle
Sündenfall läßt sich erweisen. Immer wieder tauchen antiquarische Formen
und Farben in peinlicher Patina eines kolorierten Flugblattes, einer altmeister-
Henri Pmusseau, Bildnis des Dichters Pierre Loti.
(Smlg. Mendelssohn-Bartholdy.)
Mit Genehmigung der Galerie Flechtheim
Rousseau oder die Matrosenkunsl
als in Frankreich, das
ihn sogar in denLouvre
aufgenommen hat, —
ist er überhaupt ein
Meister, nur ein Mei-
ster der Matrosen-
kunst, oder ist er einer
jener Seltenen, die, wie
etwa Caspar David
Friedrich, als tragische
Anachronismen ihr
eigenes Exil erobern?
Durchforscht man sein
Werk in dieser Aus-
stellung, die immerhin
32 ausgewählte Bilder
zeigt, so steht man
immer wieder vor Bil-
dern, die in ihrer ge-
schlossenen Farbform
Kunst sind, steht man
immer wieder vor Bil-
dern, die zweifellosMa-
trosenkunst sind. Da
sind Widersprüche,Ge-
heimnisse, Rätsel, die
wie Lügen quälen, wie
Masken reizen, wie Mißverständnisse ärgern. Was ist echt, was unecht,
wer ist Gläubiger, wer Schuldner — der Maler, der seine Bildchen träumte
und pinselte, der Beschauer, der den stillen, kleinen Autodidakten als Meister
preist, kauft, rühmt, liebt? Irgend etwas stimmt da nicht. Etwas ist faul.
Da stehen im gleichen Bilde erschaute, erlebte Bildformen einer liebevollen
Naturnähe neben 'gewußten leblosen Merkformen, die an ein kitschiges
Stickmuster erinnern. Da sind ornamentale, dekorative Blattypen einer
primitiven Erzählerfreude neben erahnten Wesensformen einer tiefen Innig-
keit. Da stilisiert sich ein Bildnis in das schlichte Monogramm künst-
lerischer Gestaltung, da posiert sich ein Don Juan in die zierlich-kitschige
Oldruckromantik einer verrauchten Zigarrenpackung. Der intellektuelle
Sündenfall läßt sich erweisen. Immer wieder tauchen antiquarische Formen
und Farben in peinlicher Patina eines kolorierten Flugblattes, einer altmeister-
Henri Pmusseau, Bildnis des Dichters Pierre Loti.
(Smlg. Mendelssohn-Bartholdy.)
Mit Genehmigung der Galerie Flechtheim