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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 9.1898

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Borrmann, Richard: Moderne Keramik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4886#0180
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1.68

MODERNE KERAMIK

Dalpayrat modelliert, und glasiert seine Luxuspoterien
selbst, für reicher gestaltete plastische Arbeiten zieht er
bewährte künstlerische Kräfte heran. Mit ihm arbeitete
eine Zeitlang Voisin Delacroix zusammen; sein jetziger
Genosse Lesbros. ist eine Dame.

Etwa in der Mitte zwischen Delaherche und Dal-
payrat steht Dammouse. Auch er arbeitet mit tiefen
vollfarbigen Glasuren. Seine neuesten Erzeugnisse be-
vorzugen den naturalistischen Pflanzendekor moderner
Zeichnung mit Glasuren von körnigem, erdigem
Charakter. In allen Arbeiten von Dammouse kommt
der herbe rauhe Charakter des Steinzeugs stets zum
Ausdruck; er weiss auch seinem Porzellan ein eigen-
tümliches scharfes grain zu verleihen.

Einen ausgedehnten vielseitigen Betrieb, der vor-
zugsweise für das Baugewerbe arbeitet, aber gleich-
falls der modernen Richtung folgt, entfaltet die Fabrik
von Emile Midier & Co. in Ivry-Port bei Paris.
Muller ist von der Terrakotta ebenfalls zum Steinzeug
übergegangen und hat das kernige, für reiche Farben-
wirkung schwer zugängliche Material mit grossem
Erfolge auch in die Thonplastik übertragen. Auch
diese wird im modernen Sinne keramisch-chemisch
behandelt. Die Fabrik liefert nach den Modellen her-
vorragender Künstler Statuen, Büsten, Reliefs, sowie
Tierfiguren mit farbigen, zum Teil geflammten Emails
und unter Verwendung von Lüstertönen, bei welchen
gleichfalls dem schwierigen Kupferrot die Hauptrolle
zufällt. Das Nackte der Figuren bleibt zumeist stumpf
und hebt sich wirksam vom geflammten Hintergrunde
ab. Das Hauptstück der vorjährigen Ausstellung auf
dem Marsfelde bildete das grossartige von Alexandre
Charpentier modellierte Relief mit der stilvollen Gruppe
der Bäcker, das nach Art der berühmten persischen
Fayencereliefs aus Susa im Louvre zu Paris sich aus
einzelnen emaillirten Ziegeln zusammensetzt.1)

Ein sehr vielseitiger moderner Keramiker ist
Edmond Lachenal,'1) der vom einfachen Arbeiter zum
Künstler geworden ist. Auch er fabriziert Steingut
mit geflammten Kupferglasuren, seine Eigenart aber
zeigt sich in den mattgrünen, zart nuancierten Gla-
suren mit Blumendekor in Weiss mit rosenroten Re-
touchen und dunkelgrünen Zweigen und Blättern.
Sehr eigentümlich ist die weiche sammetartige Haut
seiner Glasuren, die, wie es scheint, durch Ätzen in
einem Säurebade erzielt wird. Sehr reizvoll, ganz im
japanischen Geiste erdacht, ist auf der Berliner Aus-
stellung eine Vase in mattgrüner Glasur mit schnee-
bedecktem (d. h. weissglasiertem) Blütenzweige.

Zu den thätigsten neueren Kunsttöpfern Frank-

1) Abbildung in «Art et decoration".

2) Vgl. Revue illustree XII, Novembre 1895.

reichs zählt Alexandre Bigot in Paris. Bigot ist von
Haus aus Chemiker. In seinen Arbeiten wiegen gelb-
liche und goldige Töne, die er mit dunklen Flüssen
mischt, vor; neuerdings bevorzugt er matte, erdige
Glasuren von graugelblichem, oft unbestimmt lehm-
farbigem Ton. Eine Specialität, die er zuerst künst-
lerisch ausgebildet hat, sind die krystallisierten Glasuren;
diese Glasuren sind geradezu zum Losungswort in
der allerneuesten Keramik geworden. Die Krystalli-
sation, die Bigot besonders auf Steingutfliesen mit
Erfolg anwendet, entsteht durch Verdichtung und
Formenbildung von in der Glaur gelösten Metall-
salzen, welche bei langsamer, allmähliger Abkühlung
vor sich geht. Die Oberfläche erhält durch die kleinen
Krystallkörperchen ein eigentümliches Korn, einen
besonderen prickelnden Reiz. In anderen Fällen aber
bildet die Krystallisation eine Zeichnung, die völlig
an die Eisblumen unserer im Winter gefrorenen
Fenster erinnert. Auch hier hat also die moderne
Tendenz, chemische Vorgänge künstlerischen Zwecken
dienstbar zu machen, dem Keramiker die Hand ge-
führt. Die krystallisierten Glasuren haben, um dies
gleich anzuschliessen, namentlich in der neuesten Por-
zellanindustrie in Kopenhagen, Rörstrand (in Schweden),
in Sevres sowie in Berlin ein weiterer Entwicklung
harrendes Arbeitsfeld gewonnen.

Angesichts solcher Arbeiten liegt die Frage
nahe: sind derartige Erzeugnisse bloss künstlerische
Experimente, die nur ab und zu gelingen, oder kann
sie der Fabrikant jederzeit wiederholen, können sie
mit einem Worte Gegenstand einer Bestellung werden ?
Diese Frage ist zu bejahen. Wie die übrigen
Keramisten ist auch Bigot mit Erfolg bemüht, seine
keramischen Versuche auch industriell zu verwerten.
Besonders beliebt sind seine Fliesen, namentlich zu
Kaminkleidungen, bei denen die Krystallglasuren mit
ihren mannigfaltigen Reflexen so recht am Platze er-
scheinen.

Bis zu welchen Auswüchsen übrigens die vir-
tuose Behandlung der gres die Franzosen ge-
führt hat, dafür lieferte neben einem phantastischen
Kamin im Stil von Tropfsteinbildungen (von Bigot)
auf der vorjährigen Pariser Ausstellung eine in Form
einer Felsgrotte gestaltete Vorhalle (porche) aus gla-
siertem und mattem Steinzeug eine abschreckende
Vorstellung. Als Modethorheit will es ferner er-
scheinen, wenn ganze Cafe- oder Chokoladenservice
aus gres mit matten oder gemischten Glasuren her-
gestellt werden; hier erscheinen schon aus Sauberkeits-
rücksichten das Porzellan oder weiss glasiertes Stein-
gut und Fayence unabsetzbar. Gern last man sich
dagegen Bierkrüge und Kannen aus Steinzeug ge-
fallen. (Schluss folgt.)
 
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