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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

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Felger, Friedrich: Kunstgewerbliches Leben in Württemberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0055

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WÜRTTEMBERQER KUNSTGEWERBEVEREIN

radikale Flügel neben diesen genannten Realisten aller-
dings noch weit zurückstehen. Unsere Individualisten,
Künstler sind leider immer noch sehr auf sich selbst an-
gewiesen. Trotzdem sind sie an leitender Stelle sehr ge-
schätzt und werden nach Möglichkeit zur Mitwirkung heran-

|. M. Oradl, Stuttgart, Urnen-Nische in vorstehendem Salon,
ausgeführt von E. Epple & Ege, Stuttgart

gezogen. Diese Sachlage ist aber klar in der Natur der
Dinge begründet. Die begabten Künstler, die sich höchst
individuell geben und den nüchternen Alltag immer wieder
in ihren Schöpfungen in intime Kunst umdeuten können,
leben ihrer Zeit voraus und müssen das Tragische dieses
Momentes auf sich nehmen. Es kommt gewiß noch die
Zeit, wo die große Allgemeinbewegung zu ihrer hohen
Auffassung von angewandter Kunst anschwellen wird. Nach
einer Reihe von Jahren wird es hoffentlich selbstverständ-
licher erscheinen, daß diese hochbegabten Künstler des linken
Flügels in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt werden. □
d In Bernhard Pankok haben wir den namhaftesten Ver-
treter unserer Individualisten. Als reiche Künstlernatur,
aus der eine ornamentfrohe Richtung ihren jähen Ursprung
nimmt, hätte er in unserer Zeit das Zeug in sich, einen
persönlichen Stil schlechtweg zu gestalten. Zu vergessen
ist aber bei Pankok nicht, daß seine reiche Natur soviel
Selbstdisziplin besitzt, sich auch mit ganz praktischen Auf-
gaben zu befassen und sich in ansprechender Schlichtheit
auszudrücken. In einem Ausstattungsraum des neuen
Bodenseedampfers »Friedrichshafen« zeigt sich Pankok aufs
neue von dieser sachlichen Seite. Neben Pankok ist der
begabte Haustein zu nennen, das frühere Mitglied der
Darmstädter Künstlerkolonie, dessen reizvolle Ornamentik
unerschöpflich aus seinen Entwürfen quillt. R. Rochga
erscheint dagegen in seinen Arbeiten kühl und derb, aber
voll gesunden Empfindens. Hans v. Heider ist der be-
gabte Keramiker dieses Künstlerkreises, Cissarz der fein-
sinnige, geborene Buch- und Plakatkünstler. Diese wohl-
bekannten fünf Künstler wirken an den kgl. Lehr- und
Versuchswerkstätten in Stuttgart, die als kunstgewerbliche
Lehranstalten weit über die Grenzen Württembergs hinaus
ausgezeichneten Ruf genießen. An der Stuttgarter tech-
nischen Hochschule unterrichten Prof. Bonatz, der fein-
sinnige Schüler Th. Fischers, Ludwig Habich, der bekannte
Bildhauer und Karl Schmoll von Eisenwerth, der Maler
dekorativer Bilder. Für die Stuttgarter Kunstgewerbeschule
ist der tüchtige Paul Lang gewonnen worden. In schönster
Selbständigkeit erscheint neben den Genannten ein sehr
begabter Künstler, der glücklich die goldene Mitte zwischen
Individualismus und erlesenem Zeitgeschmack innehält
M. J. Gradl. Außer Habich besitzt Stuttgart noch andere
tüchtige Bildhauer, die sich immer wieder in Aufgaben an-
gewandter Kunst zeigen, u. a. Bredow, Kiemlen, D. Stocker,
M. v. Hugo und Fr. Börres. □

o Da hier eine objektive Würdigung wertvoller Arbeit
angestrebt wird, muß neben diesen Künstlergruppen unserer
heimischen Industrie und unserer Kunsthandwerker ge-
dacht werden, als dem numerisch überwiegenden Teil,
der in seinen Hauptvertretern voll guter Traditionen und
künstlerischen Empfindens ist. Der weitbekannte alt-
schwäbische Gewerbefleiß ist ein immerfließender Born,
der auch in unserem Maschinenzeitalter in sicherer Selbst-
verständlichkeit weiterquillt und immer noch die schönen
alten Seiten aufweist: Gediegenheit der Arbeit und des
Materials, ehrliches Streben und Handwerksstolz im besten
Sinne des Worts. Neben Stuttgart haben sich namentlich
in den früheren Reichsstädten, besonders Heilbronn und
Gmünd diese alten Quellen unverschüttet erhalten. Mögen
diese Erzeugnisse württembergischen Industrie- und Hand-
werksfleißes nun Möbel, Gold- und Silberwaren, Textil-
artikel, Elfenbeinschnitzereien und anderes mehr bedeuten,
fast immer wird in diesem Vielerlei eine schlichte Solidi-
tät, Echtheit des Materials und sehr oft ein »Auf der Höhe
sein« wohltuend empfunden werden. Es entstehen Möbel
in Stuttgart, die in gediegener Ausführung kaum zu über-
treffen sind und sich vor einem gewählten Tagesgeschmack
behaupten können. Als Stichproben württembergischer
 
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