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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

DOI Artikel:
Pazaurek, Gustav E.: Schwatzhaftes Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0063

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WÜRTTEMBERGER KUNSTGEWERBEVEREIN

manchen alten und neuen Bucheinbänden ist die Ein-
banddecke vorn und rückwärts vollständig gleich.
Die Folge davon ist, daß man ein solches Buch meist
just verkehrt zur Hand nimmt und aufschlägt, um
erst dann zu erkennen, daß man es umdrehen müsse;
wäre der obere Deckel mit der Aufschrift des Buches
versehen, gäbe es keinen Irrtum. °

a Abgesehen von solchen Fällen, in denen die Praxis
einige erklärende Bezeichnungen fordert, können in
manchen Fällen auch kurze Sätze, ja ganze Verszeilen
auf kunstgewerblichen Objekten ganz willkommen
sein. Die selbstverständliche Voraussetzung bildet
eine gut gewählte, künstlerisch einwandfreie Type in
tadelloser Anordnung an der richtigen Stelle. Aber
auch darüber hinaus können wir wohl verlangen,
daß es nicht banale Binsenweisheit ist, die uns vor-
gesetzt werden soll, sondern daß wirklich Geist und
Witz zu Worte komme, zum mindesten schlichte,
volkstümliche Innigkeit. Hier spricht doch schon die
Ästhetik mit, wenn es sich auch nicht um eine Schön-
heit im Sinne der bildenden Künste, sondern um die
schwesterliche, poetische Schönheit handelt. Wenn

KARL SCHMOLL VON LISENWERTH IN STUTTGART

man in jedem Ratskeller immer wieder liest, daß die
alten Germanen »immer noch eins« tranken, oder
wenn man beim Einkauf von Bilderpostkarten zu-
gleich gratis — auf dem Papierumschlag — eine
ganze Auswahl recht harmloser, gereimter Sprüchlein
mitbekommt, die man auf die Karten abschreiben soll,
dann kann nur das allerbescheidenste Gemüt daran
eine Freude empfinden. Wie ganz anders muten uns
originelle kernige Volksweisheiten und geistsprühende
oder zu Herzen dringende Verse an, wenn wir ihnen
an guten kunstgewerblichen Objekten oder in Innen-
räumen zum erstenmal begegnen. Auch ein treff-
sicher gewähltes Zitat tut hier vorzügliche Dienste, o
□ Man braucht sich nur unter den volkstümlichen
Erzeugnissen früherer Jahrhundertc umzusehen, um
die Bestätigung dafür zu finden, daß eine poetische
Schönheit sehr wohl die kunstgewerbliche zu steigern
vermag. Nur einige wenige Beispiele aus Tausenden
seien hier vermerkt. Auf einem Mangelbrett in Schles-
wig von 1625 steht: D

»Wenn alle Waldt voglein gehen zu Niste,

So ist noch mein Spateieren mit Jungfrawen das Beste.c

Auf einer alten Bauernfliese aus
dem Schwarzwald ist zu lesen:
•Jungfern lieb und rosenblätter
Vergeht vie das aprillen vetter.«

Eine der vielen sogenannten

redenden« Bauernschüsseln der

Gegend um Hamburg(i783) sagt:

Junge Weiber und altes Geld

Liebt man in der gantzen Welt «

Sind dergleichen herzhafte Volks-
sprüchlein nicht zehnmal besser,
als etwa die in Malerei, Stickerei,
Holzbrand und allen möglichen
anderen Techniken überall an-
zutreffende Mahnung »Iß, was
gar ist; trink, was klar ist«, als
ob eine gargekochte Speise immer
auch schon gut sein müßte und
das Getränk keine anderen An-
forderungen zu erfüllen hätte, als
die der Durchsichtigkeit. □

o Manche Äußerungen auf alter
Bauernkeramik oder auf derb
emailbemalten Glasbechern und
Schnapsflaschen sind allerdings
nicht ganz salonfähig. Wenn
z. B. ein Mann, dessen Frau zu
seinem Leidwesen dem Alkohol-
genuß ergeben ist, — auf einer
Schnapsflasche — ausruft: »Mein
Weib, das Schwein, sauft Brante-
wein«, so werden wir zwar
seinen Schmerz mitempfinden,
aber die Form, in der er diesen
Schmerz kundgibt, nicht gerade
sehr zartsinnig nennen können.
Immerhin muß man zugeben, daß
derartige, selbst noch kräftigere,
 
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