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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1898)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0028

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Lose Mütter.

Vonr Versöhner.

Von Leopold Weber.
l-

Vor meiner Seele stieg ein Däinmern auf
Und ward ein weites, graulich-stilles Land.

Gestalten zogen endlos dort im Zug
Hintereinandcr, weißbeschleppt und luftig.

Das waren Seelen. Alle zogen sie
Zu einem Brunnquell, der mit leisem Rauschcn
Durchs Dämmer rann, und bückten sich und schöpften
Vom kühlen Trank, der matt durchs Dunkel blinkte,

Und schwanden weiter schwebend in die Nacht.

Und ich erstaunte sehr. „Was schafft ihr", haucht' ich,

„Was wollt ihr Seelen hier?" Kaum hörbar kam
Ein Atmen zu mir aus dcr stillen Schaar:

„Traumwasser schöpfen wir."

Einer jener Regentage im Sommer war's, wo alles noch stärker duftet,
und noch sützer Amsel und Drosscl aus dem glänzcnd fcuchten Laube singcn.
Jn einen schwarzen Radmantel gehüllt, das Haupt mit dem breitrandigen
tzute tief gebückt, stieg der Tod die Stufen zur Stube des Malers hinan. Er
öffnete sacht die Thür und trat ein. Aber es war niemand zu Hause. So
nahm denn der Tod derweil in dem rohrgeflochtnen Lehnstuhl Platz und schaute
mit seinen dunkeln Augen ernst um sich. Das Stübchen war sehr klein und
dürftig; doch hingen die Wände voll von Zeichnungen und Bildern, durch das
niedrige Fenster blickten feuchte Wiesen und darüber aus Wolken Bcrge her,
und unter dem Fenster rauschte und murmelte der regengeschwollne Bach. Das
klang heimlich in die Stube, es lockte mit seinem Gemurmel zum Träumcn,
und auch der Tod versank in ein trüumerisches Wesen. Von Bild zu Bild
wanderten seine Augen, schließlich blieben sie an einem länger haften. Dort
war des Malers Schwester dargestellt, fast noch ein Kind. Aus dem schlichten
Gesicht sah eine grotze Licblichkeit, aber es ruhte ein leiser Zug darauf,
der sprach davon, daß dieses Antlitz dem Vergehen geweiht sei. Das gab der
kindlichcn Erscheinung etwas Edles und Rührendes zugleich. Es gefiel dem
Tod, datz sein Wesen hicr so dargestellt war. Lange satz er vor dem Bild und
betrachtete es und sann. Dann erhob er sich langsam und schritt lautlos zur
Thüre wieder hinaus.

3.

Es satz ein Mann an einem tiefen, stillen See und schaute ins Wasser.
Rings um den See stand ein finstrer, hoher Tannenwald und warf sein dunkles
Abbild hinein- Stumm satz der Mann da und dachte nach. Auf einmal hörte
er die Lüfte über sich rauschen, und als er aufblickte, sah er's: drei glänzende
Schwäne zogen droben hin.

„Haltet!", rief der Mann, „steht mir Rede, ihr Schwäne, wer seid ihr?"

Sie lietzen sich nicder, und der erste antwortete: „Jch bin deine Jugend."

Der Mann sah vor sich hin. „Fahr wohl", sprach er, „du mußt ja
scheiden."

Runstwart I. Gktoberheft ;8g8
 
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