Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1899)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Die Kunst im Reichstage
DOI Artikel:
Bartels, Adolf: Zur deutschen Literaturgeschichte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0409

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
heute in ihrcn meisten Erscheinungen schwer zu üegreifen sein. Das
Volk zur Kunstgenußfähigkeit zu erziehen, die Künstler frci zu machen
nicht minder von Fcsselungen durch Eitelkeiten wie von denen durch Gut
und Geld, das sind die beiden großen Vorbedingungen einer wahrhaften
künstlerischen Kultur. So schwer es ist, sie zu erfüllen, allmählich wer-
den sie doch erfüllt werden, weil das Bedürfnis nach cdeln Genüssen
mit der Ausbildung unsrer körperlichen und seelischen Organe wachsen
wird, bis es sich Gswährung erzwingt. A.

Lur deutscben LiterÄtnrgescbicbte.

Aeltere Leser des Kunstwarts wissen, daß ich bedauerlicher Weise gcgcn
den modernen Literaturgeschichtsbetrieb im allgemeinen stark eingenommen bin.
Es fehlt mir z. B. leider die Gabe, das mit ihm verbundene Wichtigmachen zu
schätzen, das jede hilfswissenschastliche Thätigkeit zum Range hoher wissenschaft-
licher Leistung erheben möchte, und noch weniger vertragen kann ich das reinc
Plusmachen, welches das geringfügigste neuentdeckte Material als wichtigsten
Fund hinstellt und einen Stoff, der sür einen kurzen Aufsatz genügte, wohl gar
zu dickcn Büchern breittritt. Man rühmt sich freilich, jetzt die wahrhafte, die
psychologische Literaturwissenschaft zu schaffen, aber wer für das poctische
Schaffen wirklich Verständnis hat, sieht sich meist in der Lage, die gewonnenen
psychologischen Ergebnisse als unwesentlich oder gar mißverständlich und falsch
abzulehnen. Hier und da ist ja ein feinerer Geist thätig, der vom Wesen und
Schaffen des Dichters eine klare Vorstellung hat und bei Einzeluntersuchungen
auf sicherm Pfade geht, aber die Mehrzahl handwerkert und leidet jedesmal
Schiffbruch, wenn sie selbständig ein Urteil über dichterische Begabung abgeben
soll. Da hat man denn die Eselsbrücke erbaut, datz überhaupt nicht geurteilt
werden dürfe, und es sind viele, die sie beschreiten.

Daß dennoch manch schätzenswerter Beitrag zur deutschen Literatur-
geschichte erscheint, will ich damit nicht bestrciten; sreilich, das Meiste auch des
Brauchbaren geht doch in dcr Regel nur die Fachkreise, nicht dio gebildetcn
deutschen Leser überhaupt an. Wirklich gute Bücher über Literatur, die selbst
eine Bereicherung unseres Schrifttums bedeuten, sind sehr selten, und das spricht
dcnn cben der Gesamtliteraturwissenschaft unserer Zeit, zumal sie mit so hohen
Ansprüchen auftritt, das Urteil. Jch wiederhole immer wiedcr: Wo isl die
allgcmeine deutsche Literaturgeschichtc, die uns Gervinus'Werkersetzte?
Wo sind Monographien wie die AdolsWilbrandts über Heinrich von Kleist,
die nach der Anschauung der „Fachleute" durch Otto Brahms Werk „überholt"
ist, abcr das Brahmsche Buch als Darstellung tausendmal übertrifft? Wir, die
wir nicht „Fachleute" sind, glauben nicht mehr an die alleinseligmachende Me-
thode, wir wollen den lebendigen Geist spüren, uns gilt ein treffcnder
Aphorismus unter Umständen mehr als eine von dcr Sonne dcr Wissenschast
noch so durchgetrocknete Programmabhandlung.

Von den mir zur Zeit vorliegenden literaturhistorischen Arbeiten stammt
Hcrmann Andreas Krügers Schrift „Dcr junge Eichendorff" (Oppeln,
Georg Maske) aus Fachkrcisen, erhebt sich aber im erstcn Teile doch zu wirk-
licher Darstellung. Es hat dem Verfasser em noch unbekanntes Jugendtagebuch

2. Märzheft
 
Annotationen