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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

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Heft 8 (2. Januarheft 1899)
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Spitteler, Carl: Das Thema vom Glück in der Dichtung
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Bartels, Adolf: Für die gute Familie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0271

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Handlung, dic Phantasielust, der Reichtum der Geschehnisse u. s. w.,
und nicht zum wenigsten auch die vielseitige Kunst des Dichters. Reich-
tum und Gestaltungskraft des Dichters verbunden mit Größe und Fülle
des Stoffes, das ist der einzige Weg zu einem glückstrahlenden Werk.
Ein Umweg allerdings. Allein einen direkten abkürzenden Fußweg zum
Glück gibt es für den Dichter nicht. Rarl Spitteler.

Mr dte gute zfmnüie.

Ja, waruin soll's keinen Familienroman geben, keinen Roman, an dem
Eltern, wohlerzogene Söhnc und Töchter gebildetcr Familien bei gemeinschaft-
licher Lcktüre eine reinc Frcude habcn können? Der große Poet wird ihn
zwar schwerlich schreiben; ihn locken die tiefgründigcn Probleme, die tragischen
Konflikte, grotzc Charaktere und grotze Leidenschaften, aber die Litcratur wird
nicht blotz von den grotzen Poetcn gebildet, die viel zahlreicheren kleinen ge-
hören auch dazu. Und deren Gebiet ist doch wohl vor allem das der Alltäg-
lichkeit mit den gewöhnlichen Menschen, dic darum noch nicht gewöhnlich im
schlechtcn Sinne zu sein brauchcn, dic sehr brav und tüchtig sein und auch
ihre Schicksale haben können, fesselnde Schicksale. Wie de Familienroman in
Deutschland in Verruf gekommen, weitz jedermann, er ward Familienblatt-
roman, schablonenhaft, schünselig-unwahr, salsch-idealistisch und scntimental,
mit einem Wort: er heuchelte. Da mußte ein Umschwung kommen: wir er-
hielten den naturalistischen Roman, der düsterbrutal, kleinlich, gcmein und
zuletzt auch wieder unwahr ward. Der Durchschnittsmensch ist kein Engel, abcr
auch kein Tier. Am besten kommt man der Durchschnittswelt gegenüber mit
dem versöhnlichen Humor und mit der heitercn Jronic zurecht, und das war
das Geheimnis des Erfolgs Wilhelm Raabes und Theodor Fontanes, die
ja grotze Talente, aber doch nicht eigentlich grotze Dichter, Leidenschaftspoetcn
sind. Nun treten auch wieder kleinere Talente auf, die begriffen haben, datz
die erfreulichere Seite der Alltäglichkeit genau so viel Anrecht auf Darstellung
hat wic die unerfreuliche, datz man, wcnn man die Nachtseite der Welt nicht
in der Tragödie zur wuchtigen Erscheinung bringen kann — und wer von den
Naturalisten konnte das? — besser thut, die Sonne über Gerechte und Ungerechte
scheinen zu lassen. Es ist ja viel Schmutz in der Welt, in den Menschenseelen,
aber doch auch manches, was man nach dem klassischen Wort als reinlich
und zweifelsohne bezeichnen darf.

Zu dcn Talenten, die unsern Roman wieder reinlich und zweifelsohne
machen und ihm das gute Familicnpublikum zurückerobern möchten, gehört
u. a. Ernst Mu ellenbach, der srüher unter dem Namcn Ernst Lcnbach schrieb
und im Kunstwart schon öftcr erwähnt worden ist. Wir wollen uns einen
Roman von ihm hier etwas näher betrachtcn, nicht sowohl, um über das
Talent des Verfassers ins Klarc zu kommen, mehr, um die Technik eines
besseren modernen Durchschnittsromans kennen zu lernen. Der Noman ist bci
Neitzncr in Dresdcn erschienen, heiht „Waisenheim" und spielt in einer Uni-
versitätsstadt, wohl in Bonn; er beginnt mit der Schilderung sonntäglichen
Kaffeehauslebens und macht von karrikierender satirischer Darstellung sofort
Gebrauch, wird aber schon im zweiten Kapitel ernst und lätzt uns deutlich

2. Ianuarheft tszz

LS
 
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