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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1899)
DOI Artikel:
Weitbrecht, Carl: Ethisch und Aesthetisch, [2]
DOI Artikel:
Schumann, Paul: Architektonische Zeitfragen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0347

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sie als Krankheitserscheinungen erkennt. Wer sich da in seiner eigenen Per-
sönlichkeit ethisch gesund genug fühlt, der soll nicht zaghaft sein, die
Krankheit beim Namen zu nennen und zu Lekämpfen, auch wenn ers der
Mehrheit nicht haarklein beweisen kann, daß und wiefern es Krankheit
ist, auch wenn er vielleicht selbst die Krankheit mehr aus seinem ethischen
Gefühl heraus erkennt als nach einer theoretisch klar zu begründenden
Diagnose. Von solchen Psychosen aber werden zuweilen nicht bloß die
Pfuscher und die bloßen reproduktiven Formtalente in der Kunst ergriffen,
sondern auch Persönlichkeiteu, die an sich schöpferische Kraft hütten —
auch sie braucht die Kritik nicht weichlich zu schonen, auch ihnen üraucht
sie nicht alles zu gute zu halten, ja gerade sie hat sie ernsthaft daraus
zu verweisen, daß sie sich ästhetisch schädigen, wenn sie der ethischen Ver-
seuchung nicht widerstehen. Wollen oder können sie dann nicht hören,
so haben auch sie es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie eines Tages von
der Meute des Moralphilistertums angefallen werden und die Aesthetik
sie nicht oder nur ungenügend schützen kann. Und sollte die ernsthafte
Kritik ausnahmsweise vielleicht auch jemand zu hart anfassen — ei, ist
er ein rechter Kerl, so wirds ihm auf die Dauer nicht schaden, und es
wird ihm lieber sein, von einer solchen Kritik einmal etwas zu hören,
was er nicht ganz verdient zu haben glaubt, als wenn er von der All-
tagspöbelkritik vielleicht „moralisch" unangetastet bleibt aber ästhetisch-
ethisch um so blödsinniger behandelt wird.

Geradc, wenn wir auf das Entstehcn einer Kritik hinarbeiten
wollen, die als zuständige Richterin in dem Streit zwischen „Kunst und
Moral" gelten dürfe, müssen wir darauf bedacht sein, daß schon jetzt
jede echte Kritik sich gerade in diesem Kapitel gründlich unterscheide von
dem Kritikastergeschwätz, das keine Ahnung hat von dcm tieferen Zu-
sammenhang zwischen Ethisch und Aesthetisch. Larl weitbrecht.

NrLbitesttoniscbe Leittragen-

Unter diesem Titel hat der unseren Lesern bekannte Wilhelm Streiter
beim „Cosmos" in Berlin eine Schrift veröffentlicht, die er im Untcrtitel alS
eine Sammlung und Sichtung verschiedener Anschauungen mit besonderer Be-
ziehung auf Prof. Otto Wagners Schrift „Moderne Architcktur" bezeichnet.
Otto Wagner ist Professor an der Kunstakademie in Wien und hat sich durch
seine eigenen Werke als Künstler einen bedeutenden Namen gemacht. Sein
kleines Buch sollte zunächst nur ein Führer auf dem Gebiete der modernen
Architektur für seine Schüler sein, aber cs erregte weithin Aufsehen unter dcn
deutschen und vsterreichischen Architekten, weil Wagner darin einen extrcm fort-
schrittlichen Standpunkt vertritt und den Anspruch erhebt, „die Basis der heute
vorherrschenden Anschauungen über die Baukunst zu verschieben und die wahre
und einzig mögliche Nichtung zur Erreichung des Erahnten, Erhofften der
modernen Architektur zu weisen". Gegenüber diesem Buche unternimmt nun
Streiter „den Versuch einer tieferdringenden, möglichst objektiven Würdigung",
den man als überaus interessant und in vieler Beziehung klärend bezeich-
nen darf.

3ZS

2. Februarhest ^399
 
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