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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

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Heft 7 (1. Januarheft 1899)
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Wohlwollende Kritik
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Lier, Leonhard: Vom modernen Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0237

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wenn ihr aufrichtig seid, dann und wann, aber jedenfalls zehn Mal
weniger, als wenn ihr's nicht seid. Mehr als das Geforderte darf
man von der Tageskritik billiger Weise nicht fordern. Das aber darf
man verlangen, zumal wenn fie sich zwar nicht nur auf die besten,
aber doch auf die am meisten bezeichnenden Werke beschränkt.

Ja, sagt der Lescr, aber ginget ihr nicht davon aus, daß man
nicht nur einreißen, sondern auch ausbaun solle? Von jedem Ganzen
soll man das verlangen, also von der Zeitung als solcher, oder auch von
ihrem Feuilleton. Jhrc Kritik aber ist heute noch nirgends ein Ganzes.
Was Rezensionen bringen, wird ja so gut wie ausnahmslos abhängig
gemacht von dcm, was man zur Besprechung einschickt oder doch von dem,
was neu erschcint, mit andern Worten: vom Zufall. Ob der Rezensent
loben darf oder tadeln muß, hüngt da also vom Zufall, nber gar nicht
vom Willen des chrlichen Kritikers ab. Da zudem natürlich stets das
Hervorragcnde seltcncr ist als das, woraus cs hervorragt, so würde
die Bitte: mußt du schon tadeln, so lobc auch wieder, nur dieses be-
sagen: lobe auch Mittelmüßiges-

Nein, eine in Wahrheit der Kunst wohlwollende Presse hätte ganz
andere Aufgaben. Sie hätte nicht nur „niederzureißen", sie hätte auch
„aufzubaun", aber es könnt' ihr recht wohl geschehn, daß ihre Besprechungen
von neuen Sachen mal cine gute Weile lang nur „nicderzureißen" hütten.
Aufbauen könnte sie deshalb doch, müßte sie deshalb doch, wenn sie
ihre Aufgabe recht ernst erfaßte. Sie könnte gute Werke im Feuilleton
bringen, ncue, oder, wenn's Meisterwerkc sind, auch altc. Sie könnto
Erörterungen künstlerischer Fragen bringen — ist cs nicht zu verlangen,
daß jedes Blatt dergleichen aus cigcnen Mitteln bestreitcn kann, warum
dürft' es dann nicht aucb dergleichcn nachdrucken, so gut wie Politisches?
Und selbst aus dem eigensten Gcbiete der Kritik könnte Positivcs sehr
wohl geleistet werden, wcnn man sich entschlösse, auch Meisterwerkc dcr
Lergaugcnheit, und scicn es allbckannte aus klassischer und vorklassischcr
Zeit, auf ihre bcsonderen Werte hin kritisch zu betrachtcn. Auch das
könnte ruhig unter Anlehnung an die besten Bücher unsrer ästhetischen
Literatur geschehn.

vom modernen Dramn.

Die Thatsache, datz fast gleichzeitig drei Werke erscheincn, die sich mi:
dcr Geschichte und der Acsthetik deS moderncn Dramas bcschäftigeu, mag einem
Zufall zu dankcn scin, wie ihn das litcrarische Leben so oft zeitigt. Der Be-
obachtcr abcr dcr Entwicklung des modcrnen Dramas wird sie frcudig be-
grüßcn, scheint sie doch mit cinem entschcidendcn Punkte dieser Entwicklung
zusammcnzutresfcn. Ein Symptom dafür, datz solch cincr erreicht sei, ist auch
das jüngste Drama Max HalbcS, dessen schöpferischer, vorwärtsweiscnder Gc-
dankc als solcher durch den tobcnden Lärm ciner Berlincr Nadaupremisre
nicht getötet werdcn kann. Die letzte Stunde des konsequenten Naturalismus
auf der Bühne scheint nicht mehr fern, daran ändert auch der Erfolg von
Hauptmanns „Fuhrmann Henschel" nichts. So sehr disses Schauspiel als dis
reifstc Frucht des stilreinen Naturalismus gepriesen werden darf, es zeigt nicht

?. Iamrarhcft t8?9
 
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