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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1898)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0074

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beiden rveniger unmündig, meniger hilflos und fremder Leitung bcdürftig als
das andere. Aber die Träger hatten fich schon in Bewegung gesetzt. ,Nun geh,
Müdle, geh da hinüber," sagte die Base zu der Schwestcr, ,wir nehmen das
Kind zwischen uns. Und lauf nicht in das Gras hinoin, Mädle; es ist noch
Thau darin vom Morgen. Nicht zu langsam, sonst kommen wir zu weit von
den Trägern ab. Ja, abcr auch nicht so geschwind, sonst — so ist's recht, und
gebt hübsch Achtung, daß ihr nichts Unschickliches machtl"

So sagte die Base und hob ihre Augen einen Augenblick andächtig
zum Himmel, damit die Umstehenden meinen müßten, sie spreche Worte dcs
Trostes. Die Weisungen crschienen übrigens keineswegs überflüssig, denn die
klcine schwache Gestalt der Schwester bewegte sich so schwankend nnd wider den
Haarstrich des Taktes, als wäre sie noch eine Anfängerin in der edeln Kunst
des Gehens. Man sah, sie war nicht gewohnt, ihre eigenen Füße zu sehen,
so wenig, als ihre Hände; es kam ihr immer vor, alS lägen ihre Hände und
Füße ihr im Wege und sie müßte darüber strauchcln.

^undscdau.

Lite» atuv.

* Am Grabe FontaneS sprach
Karl Frenzel, wie jener ein Mitbegrün-
der der „Bcrliner Presse", im Namcn
diescS Pereins den Abschicdsgruß.
„Iteidlos ließen wir alls ihm den Vor-
krilt", sagt' er unter andcrm, .denn
kcincr durfte sich mit ihm in derDaucr,
dem Fleiß und der Redlichkcit seiner
literarischen Thätigrcit, nur wenige
konnten sich mit seiner Vegabung
messen." Ma» soll's mit Worten an
Grübern nicht so genau nehmen, wenn
sic in warmherziger Liebe den Toten !
allzu h o ch stcllen. Hier liegt's andcrs. ^
Wir müssen, trotzdem Frenzcls Freun-
deSempftnden für Fontane unantast-
bar ist, fragen: wen rneinte er nrit
dcn wenigcn, die sich mit Fontanes
Bcgabung messen könnten? Wir hörten
sie gcrn gcnannt, denn wir mügen unter
dcnBerlinerSchiiftstellern auf-und ab-
suchen, so vicl mir wollen, wir sehcn
kcinen, dessen Begabung der des
Toten auch nur halbwegS ebenbürtig
wäre. Und wir denken, eS heißt die
Bedeutung solch eines Augenblickes
ärüben, wenn man aus Höflichkeit gcgen
die Anwcsenden dem Toten nicht ganz
Lie Ehre gibt, die ihm gebührt.

* Ein Prolog von Wildenbruch
erössnet« im Wcimarschen Hof-

Aunsrwart

> theater das Wallensteinfcst, ein Prolog,
zu dem uns eine Bemerkung erlaubt
sein muß. Wildenbruch blicb wicder
ganz beim .Patriotischen": zur Zeit
von Deutschlands tiesster Erniedrigung
habe „der große Sohn des großen
! Dichters", wie er Wallenstein ctwas
! wunderlich nennt, „an Deutschlands
j Seelen gepocht". Dann geht daS Pa-
triotische weiter, bis es heißt:

„llnd da geschah eS, daß zu Dichters
Trüumen

Sein »Ja und Amen« sprach das
Weltgeschick,

Nachholend tausendjührigeS Ver-
säumcn

Jn cinem einz'gcn großen Augenblick.

Und da erstand der Held aus deutscher
Erde,

! Den Schiller in der Ferne kommen
sah,

Und es erscholl sein Machtgebot »Es
werde!«

Und Deutschland war geschaffen und
war da."

Geht es denn wirklich gar nicht mehr
an, einc Größe ohne Hinblick auf die
politische Macht zu begreifen? Kann
man selbst einen Schiller nicht andcrs
feiern, als indcm nran ihm als ge-
waltigstesVerdienst nachrühmt, er habe

2. Vktoberheft

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