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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1898)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0183

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Ls sprach der Geist: Sieh auf! Liii Linncii schweben
Sah ich und vielen schon das Mahl gegeben,

Da breiteten sich unter tausend bsänden
Die Tische, doch verdämmerten die Lnden
In grauem Nebel, drin aus bleichen Ltufen
Aummergestalten saßen ungerusen.

Ls sprach der Geist: Sieh auf! Die Luft umblaute
Ein unermeßlich Mahl, soweit ich schaute,

Da sprangen reich die Brunnen auf des Lebens,

Da strcckte keine Schale sich vergebens,

Da lag das ganze Volk auf vollen Garben,

Uein Platz war leer, und keincr durfte darben.

Nundscdau.

Litcratur.

* Dcr Cottasche Muscnalma-
n nch, herausgegcben vonOttoBraun,
crscheint nun, für ,899,schon zum neun-
ten Male, komnit also doch wohl eincm
Bedürfnis nach. Zum ersten Male
bringt er setzt auch ziemlich viele Ge-
dichte von „Jungen", nur die schlimm-
sten Revolutionäre fehlen noch.

„Nun Gott sei Dank, der Kampf hat
ein Ende,

Todfcinde schütteln sich lachend die
Hände,

Dichter dichten wicdcr — wie Dichter,
Und nur daS kleine Nullengelichter
Schwört zu dcm papierncn Stern
Und nennt sich immer noch »modern«.
Wollt ihr dieStreitaxt nicht begraben?
»Es ist das Einzige, was wir haben«",
singt oder vielmchr sagt Hcinrich Bult-
haupt in dcm Bande sclbst. O ja,
cs kann jctzt wieder sehr HLbsch wer-
den auf dem deutschen Parnatz, doch
habe ich dagegcn, daß Dichter wicder
„wie Dichter" dichten, immerhin meine
Bedenken. Jch meinc, die Dichter soll-
ten eigcntlich „wie Mcnschcn" dichtcn,
gcradc datz sic sich zu stark als Dichter
fühltcn, hat in dcn sicbziger und acht-
zigcr Jahren „das ganze Unheil an-
gcricht't", unscrc Pocsic konvcntionell,
unw ahr gcmacht und dcn Sturm und
Dran g als Neaktion darauf hervor-
gerufcn. Jch mcitz nun recht wohl,
datz Bulthaupt weit davon enifernt ist,
uns cincn konventioncllcn Aefthetizis-

mus zu empfehlen, möchtc aber doch
meincrseits davor warncn, übcr das
Berechtigte, das unzweifelhaft in dcn
Bestrebungendes SturmesundDranges
lag, allzu schnell zur TageSordnung
Lberzugehen: man solltc die äutzere
und innere Wahrheit, die ihm trotz
allem als höchstes Ziel crschien, den
formell - künstlerischen Eigenschaften
gcgenüber nicht wiedcr in dic zweite
Reihe stellen. Es ist ctwas sehr Schönes
um die Gabe, vortreffliche Verse machen
zu können, es ist noch schöner, hübsche
Gedanken und Einfälle und das dazu
nötige Gefühl zu haben, aber alles das
zusammen ergibt noch lange kein Ge-
dicht. Ein Gedicht wird, man macht
es nicht, hat schon Hcine gcsagt; wir
wollen liebcr, wie in den schlimmsten
Zcitcn dcs Naturalismus, gar keine
Gedichte mehr haben, als cinen Ueber-
flutz an gcmachten. — Ein Musen-
almanach wird nun ohne die gemach-
ten Gedichte sich brauche den Aus-
druck keineswegs im schlimmstenSinne,
wie man „Macher" für Faiseur braucht),
ohne sehr viele Verse, die keine Ge-
dichte sind, nicht leicht auskommen,
aber ein paar wirkliche Gedichte mutz
er immer enthalten. Am Ende lasscn
sie sich auch in diesem Bande findcn,
leidcr nicht bei den Jungen, ehcr bci
den Alten, etwa bei Hermann Lingg
s.Kindcrgrutz") und Hans Hosfmann.
Es ist das eigentlich schlimm, denn
bei dcn Altcn freut man sich ja über-
haupt schon, datz sie noch da sind, bei

Dezemberheft ^898
 
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