* Darwin über Kunstgenutz.
„Jch habe meinen Geschmack für Ge-
mälde und Mustk bcinahe verloren.
Mein Geist scheint eine Art Maschine
geworden zu sein, allgemeine Gesetze
aus grotzen Sammlungen von That-
sachen herauszumahlen. Warum dies
die Atrophie desjenigen Teiles meines
Gehirns verursacht haben könnte, von
welchem die höheren Geschmacksent-
wickelungen abhängen, kann ich nicht
verstehen. Wenn ich mein Leben noch
einmal zu leben hätte, so würde ich
mir zur Regel machen, wenigstens
alle Wochen einmal etwas Poetisches
zu lesen und etwas gute Musik anzu-
hören. Denn vielleicht würden dann
die jetzt verkümmerten Teile meines
Gehirns durch Gebrauch thätig erhal-
ten worden sein. Der Verlust der
Empfänglichkeit für derartige Sachen
ist cin Verlust an Glück und dürfte
möglicherweise nachtcilig für dcn Jn-
tellekt, noch wahrscheinlicher für den
moralischen Charakter sein, da er den
gemütlich erregbaren Teil unserer Na- !
tur schwächt." So zu lesen in Darwins
„Autobiographie".
* Bei der Herstellung unsres vorigen
Heftes hat sich leider der Setzer-
teufel auf das Ungebildetste be-
nommen. Nicht genug damit, dah er
hier und dorthin sein Gift verspritzte,
hämisch vertauschte er auch zweiSeiten,
und schliehlich mischte er sich sogar. in
die Redaktion, indem er aufs Frechste
behauptete, Kreidolfs urgesundeKinder-
gesichter seien ungesund, ja, er ertrotzte
für die doch törichte Meinung den
Sieg, daß bei Kreidolf nicht Kinder-
tümlichkeit sondern Kindertrümlichkeit
zu finden sei. Was geschehen ist, sei
geschehnl Nun aber sind die hohen
Chefs und Hochmögenden und Aus-
führenden der Kgl. Bayer. Hofbuch-
druckerei von Kaftner L Lossen zu-
sammengetreten, um den vom Drucker-
teufel besessenen Kunstwart durch einen
kräftigcn Exorzismus zu befrein. Sei
^ Segen auf ihrem Werkel
Ansre Deilngen.
Die Musikbeilage bringt, mit Bewilligung des VerlegerS H. Heckel in
Mannheim, ein Lied von Hugo Wolf — wir verweisen in dieser Beziehung
auf unsern heutigen Aufsatz über den Tondichter. Beim Studium insbesondere
dieses Liedes sehe man sich zunächst die Singstimmen an und versuche, sie
allein, aber mit dem vollen durch den Text bestimmten Ausdrucke zu singen.
Jn der ersten Strophe empfehlen sich am Schlutz jedes Verses (nach Weise,
leise, Morgen, frommen, Willkommen) kleine, kaum merkliche Pausen. Der
Klavierpart führt ein hold mclodisches Motiv von kindlicher Reinheit durch;
man könnte zuweilen auf Mozart raten, wenn nicht einige verstiegene Harmo-
nien, rückende Modulationen im Mittelsatz und dissonierende Gegenführungen
der Stimmen den modernen Musiker verrieten.
Mit tiefer Wemut und dann wieder mit freudigem Stolz werden unsere
Leser Hugo Wolfs köstliche Kunst genießen, wenn sie ihnen hilft, das Weih-
nachts- und Neujahrsfest künstlerisch zu adeln. Mit tiefer Wehmut: denn der
wie kaum je ein anderer verstand, bis zu der innersten Seele einer Dichtung
vorzudringen und ihr zu den Worten die Töne zu schenken, datz sie bis zum
hciligsten Letztcn ihr Bestes aussprechen könne — er lebt noch, und hört doch
unsern Dank nicht mchr. Aber wie wir des Menschen Schicksal betrauern:
datz solches Schaffen jetzt in der Gegenwart zwischen uns wirkte, das er-
hebt uns wie ein biblisches Pfand von einem Bunde der himmlischen Mächte
2. Dezemberheft tLys
„Jch habe meinen Geschmack für Ge-
mälde und Mustk bcinahe verloren.
Mein Geist scheint eine Art Maschine
geworden zu sein, allgemeine Gesetze
aus grotzen Sammlungen von That-
sachen herauszumahlen. Warum dies
die Atrophie desjenigen Teiles meines
Gehirns verursacht haben könnte, von
welchem die höheren Geschmacksent-
wickelungen abhängen, kann ich nicht
verstehen. Wenn ich mein Leben noch
einmal zu leben hätte, so würde ich
mir zur Regel machen, wenigstens
alle Wochen einmal etwas Poetisches
zu lesen und etwas gute Musik anzu-
hören. Denn vielleicht würden dann
die jetzt verkümmerten Teile meines
Gehirns durch Gebrauch thätig erhal-
ten worden sein. Der Verlust der
Empfänglichkeit für derartige Sachen
ist cin Verlust an Glück und dürfte
möglicherweise nachtcilig für dcn Jn-
tellekt, noch wahrscheinlicher für den
moralischen Charakter sein, da er den
gemütlich erregbaren Teil unserer Na- !
tur schwächt." So zu lesen in Darwins
„Autobiographie".
* Bei der Herstellung unsres vorigen
Heftes hat sich leider der Setzer-
teufel auf das Ungebildetste be-
nommen. Nicht genug damit, dah er
hier und dorthin sein Gift verspritzte,
hämisch vertauschte er auch zweiSeiten,
und schliehlich mischte er sich sogar. in
die Redaktion, indem er aufs Frechste
behauptete, Kreidolfs urgesundeKinder-
gesichter seien ungesund, ja, er ertrotzte
für die doch törichte Meinung den
Sieg, daß bei Kreidolf nicht Kinder-
tümlichkeit sondern Kindertrümlichkeit
zu finden sei. Was geschehen ist, sei
geschehnl Nun aber sind die hohen
Chefs und Hochmögenden und Aus-
führenden der Kgl. Bayer. Hofbuch-
druckerei von Kaftner L Lossen zu-
sammengetreten, um den vom Drucker-
teufel besessenen Kunstwart durch einen
kräftigcn Exorzismus zu befrein. Sei
^ Segen auf ihrem Werkel
Ansre Deilngen.
Die Musikbeilage bringt, mit Bewilligung des VerlegerS H. Heckel in
Mannheim, ein Lied von Hugo Wolf — wir verweisen in dieser Beziehung
auf unsern heutigen Aufsatz über den Tondichter. Beim Studium insbesondere
dieses Liedes sehe man sich zunächst die Singstimmen an und versuche, sie
allein, aber mit dem vollen durch den Text bestimmten Ausdrucke zu singen.
Jn der ersten Strophe empfehlen sich am Schlutz jedes Verses (nach Weise,
leise, Morgen, frommen, Willkommen) kleine, kaum merkliche Pausen. Der
Klavierpart führt ein hold mclodisches Motiv von kindlicher Reinheit durch;
man könnte zuweilen auf Mozart raten, wenn nicht einige verstiegene Harmo-
nien, rückende Modulationen im Mittelsatz und dissonierende Gegenführungen
der Stimmen den modernen Musiker verrieten.
Mit tiefer Wemut und dann wieder mit freudigem Stolz werden unsere
Leser Hugo Wolfs köstliche Kunst genießen, wenn sie ihnen hilft, das Weih-
nachts- und Neujahrsfest künstlerisch zu adeln. Mit tiefer Wehmut: denn der
wie kaum je ein anderer verstand, bis zu der innersten Seele einer Dichtung
vorzudringen und ihr zu den Worten die Töne zu schenken, datz sie bis zum
hciligsten Letztcn ihr Bestes aussprechen könne — er lebt noch, und hört doch
unsern Dank nicht mchr. Aber wie wir des Menschen Schicksal betrauern:
datz solches Schaffen jetzt in der Gegenwart zwischen uns wirkte, das er-
hebt uns wie ein biblisches Pfand von einem Bunde der himmlischen Mächte
2. Dezemberheft tLys