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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1899)
DOI Artikel:
Spitteler, Carl: Das Thema vom Glück in der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0269

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Das Tdema vom Slüclr in der Dicblnng.

Jmmer und immer wieder unterliegen die Dichter, und zwar die
echten am ehesten. der Versuchung, einmal das reine sonnige Glück zum
Hauptvorwurf einer Dichtung zu wählen. Und immer und immer wieder
ergibt sich statt des ersehnten goldenen Reichtums: Niedlichkeit, Spiel,
Süßlichkeit, bei etwelcher Aussührlichkeit: Einförmigkeit und Oede, mithin
Unlesbarkeit. Anders angeschaut und ausgedrückt: es will und kann
nicht gelingen, das Zufriedenheitsgedicht, also das Jdyll, in höhere Ge-
biete und in größere Formen zu erheben.

Warum nun nicht? Warum sollte ein Zustand, den die dichtende
Seele crsehnt, der nämliche Zustand, der, in der Vergangenheits- oder
Zukunftsform geschildert, ergreifende Poesie ersten Ranges zeugt, nicht
wert und fähig sein, dem Dichter als Hauptgegenstand zu dienen?

Sachliche Gründe, wie man sie hiefür hat angeben wollen, Ernst
des Daseins, Kampfespflicht, Unwahrheit des Glückes auf Erden uud
dergleichen, halten der Prüfung nicht Stich, da der Maler, welcher doch
auf der nämlichen Erde wohnt, dem Glücksthema die allerherrlichsten
Triumphe verdankt, wie vornehmlich die venezianische Schule beweist.
Angenommen also und auch zugegeben, das Glück wäre hienieden bloß
als scltene Jnsel zu fiuden, so ist damit noch nicht erklärt, warum die
Dichter nicht die Jnsel hervorsuchcn und ex protesso schilderu sollten.

Der Grund ist vielmehr rein formaler Natur: die Dichtkunst wirkt
ja mit Handlung, oder zum mindesten mit Bewegung, das Glück aber
besagt einen Zustand, Zustand aber ist das Gegenteil von Handlung
oder Bewegung. Darum kann das Glück bloß berichtet, etwa zur Not
auch probcwcis iu einer einzelnen Ausschuittsszene vor Augen gestcllt,
nicht aber ox prolosso, als oberstes Ziel cines größeren Werkes nrit
organischer planvoller Arbeit gefaßt werden, darum erledigt Homer das
Kalypso- und Kirkeidyll in wenigen Zeilen, darum behandeln die italie-
nischeu Epiler das schönhcitssunkclnde Motiv der Alcinen und Armiden nur
episodisch und gegensätzlich, darum endet der typische Liebesroman mit
Runstwart 2. Hanuarheft 4899
 
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