Und die Frage stellt sich von dieser Seite nur so: ivelche Gegenstände
darf der Künstler zur Darstellung bringen, ohne mit jener Moral in
Widerspruch zu geraten? Oder: hat er sich überhaupt in seiner Wahl
und in seiner Darstellung um die Grundsätze jener Moral zu kümmern
oder gehen sie ihn schlechtweg gar nichts an?
Dementsprechend pflegcn dann auch die Antworten auszufallen —
als magere Ergebnisse oft recht geschwollener Untersuchungen. Jm
wesentlichen läufts darauf hinaus: entwedcr sagt man, es gebe aller-
dings gewisse Grenzen, welche die Moral den Darstellungen der Kunst
ziehen müsse; sowie sichs dann aber um die Absteckung dieser Grenzen
handelt, beginnt es um so bedenklicher zu hapern, je äußerlicher der Be-
griff der Moral gefaßt war. Oder aber man kommt zu dem Schluß:
Kunst und Moral haben überhaupt nichts mit einander zu thun, die
Moral habe sich jedes Urteils über die Kunst zu enthalten; und wem's
bei diesem freilich etwas billigen Ergebnis doch nicht ganz wohl ist, der
gibt etwa noch zu: es komme immerhin auf das Wie der Darstellung
an, hiedurch könne unter gewissen Bedingungen die Moral verletzt werden,
nicht aber durch das Was. Nur daß es abermals bedenklich hapert,
sowie nun jene Bedingungen klargestellt werdcn sollen.
Es ist kaum glaublich, welche Trivialitäten dabei auch von Leuten
vorgebracht werden, bei denen man etwas anderes gesucht hätte. So,
wenn eifrigst der Satz erörtert wird, die Kunst müsse das Recht habcn,
auch das Laster darzustellen, dafern es nur nicht in lasterhafter Absicht
und zur Aufmunterung des Lasters geschehe — und was dergleichen
Binsenwahrheiten sind, die teils von keinem halbwegs vernünftigen
Menschen bezweifelt werden, teils in ihrer Salzlosigkeit keinen Hund
vom Ofen locken. Und am Ende kommt bei all dem für die Klürung
des Urteils oder gar für dic Ueberzeugung der Gcgner so gut wie nichts
heraus. Der Moralphilister stößt sich nach wic vor an jedem Kunstwerk,
das irgendwie über seinen sittlichen Horizont geht, der Bildungs- und
Kunstphilister läßt sich nach wie vor jede Schweinigelei als Künst auf-
schwatzen, wenn sie nur mit einigem formellcn Geschick gemacht ist; bcide
Philistersorten schimpfen über einander in großer Entrüstung, und —
was das Betrüblichste ist — auch bei denen, welche weder zu der einen
noch andern Philisterart gehören, findet sich keineswegs jene schöne
„Uebereinstimmung aller Einsichtigen", die man oft in so rührender Be-
reitwilligkeit vorauszusetzen geneigt ist. Der nächste beste praktische Fall
kann das Gegenteil in erschreckcnder Deutlichkeit zu Tage bringen.
Also damit kommen wir auf keincn grünen Zweig. Wie wär's
aber, wenn wir vorläufig cinmal „Kunst und Moral" dahingestellt sein
ließen und etwas tiefer zu graben suchtcn, indem wir das fragliche
Kapitel „Ethisch uud Aesthetisch" überschrieben und uns zunächst auf
psychologischem Wege über das thatsächliche Verhältnis dcr mit diesen
Worten zu bezeichnendcn Lebenserscheinuugen einige Klarheit verschafften?
Wenn ich es versuche, so habe ich natürlich vor allem klar zu
sagen, was ich bei jenen Worten denke.
Jm Unterschiede von der „Moral" als einer überkommenen oder
irgendwie erworbenen Summe von sittlichen Begriffen und Grundsätzen,
also von einem wesentlich theoretischen Bewußtseinsinhalt — verstehe
ich unter dem Ethischen die mannigfach verschlungene Gesamtheit all
Kunstwart
290
darf der Künstler zur Darstellung bringen, ohne mit jener Moral in
Widerspruch zu geraten? Oder: hat er sich überhaupt in seiner Wahl
und in seiner Darstellung um die Grundsätze jener Moral zu kümmern
oder gehen sie ihn schlechtweg gar nichts an?
Dementsprechend pflegcn dann auch die Antworten auszufallen —
als magere Ergebnisse oft recht geschwollener Untersuchungen. Jm
wesentlichen läufts darauf hinaus: entwedcr sagt man, es gebe aller-
dings gewisse Grenzen, welche die Moral den Darstellungen der Kunst
ziehen müsse; sowie sichs dann aber um die Absteckung dieser Grenzen
handelt, beginnt es um so bedenklicher zu hapern, je äußerlicher der Be-
griff der Moral gefaßt war. Oder aber man kommt zu dem Schluß:
Kunst und Moral haben überhaupt nichts mit einander zu thun, die
Moral habe sich jedes Urteils über die Kunst zu enthalten; und wem's
bei diesem freilich etwas billigen Ergebnis doch nicht ganz wohl ist, der
gibt etwa noch zu: es komme immerhin auf das Wie der Darstellung
an, hiedurch könne unter gewissen Bedingungen die Moral verletzt werden,
nicht aber durch das Was. Nur daß es abermals bedenklich hapert,
sowie nun jene Bedingungen klargestellt werdcn sollen.
Es ist kaum glaublich, welche Trivialitäten dabei auch von Leuten
vorgebracht werden, bei denen man etwas anderes gesucht hätte. So,
wenn eifrigst der Satz erörtert wird, die Kunst müsse das Recht habcn,
auch das Laster darzustellen, dafern es nur nicht in lasterhafter Absicht
und zur Aufmunterung des Lasters geschehe — und was dergleichen
Binsenwahrheiten sind, die teils von keinem halbwegs vernünftigen
Menschen bezweifelt werden, teils in ihrer Salzlosigkeit keinen Hund
vom Ofen locken. Und am Ende kommt bei all dem für die Klürung
des Urteils oder gar für dic Ueberzeugung der Gcgner so gut wie nichts
heraus. Der Moralphilister stößt sich nach wic vor an jedem Kunstwerk,
das irgendwie über seinen sittlichen Horizont geht, der Bildungs- und
Kunstphilister läßt sich nach wie vor jede Schweinigelei als Künst auf-
schwatzen, wenn sie nur mit einigem formellcn Geschick gemacht ist; bcide
Philistersorten schimpfen über einander in großer Entrüstung, und —
was das Betrüblichste ist — auch bei denen, welche weder zu der einen
noch andern Philisterart gehören, findet sich keineswegs jene schöne
„Uebereinstimmung aller Einsichtigen", die man oft in so rührender Be-
reitwilligkeit vorauszusetzen geneigt ist. Der nächste beste praktische Fall
kann das Gegenteil in erschreckcnder Deutlichkeit zu Tage bringen.
Also damit kommen wir auf keincn grünen Zweig. Wie wär's
aber, wenn wir vorläufig cinmal „Kunst und Moral" dahingestellt sein
ließen und etwas tiefer zu graben suchtcn, indem wir das fragliche
Kapitel „Ethisch uud Aesthetisch" überschrieben und uns zunächst auf
psychologischem Wege über das thatsächliche Verhältnis dcr mit diesen
Worten zu bezeichnendcn Lebenserscheinuugen einige Klarheit verschafften?
Wenn ich es versuche, so habe ich natürlich vor allem klar zu
sagen, was ich bei jenen Worten denke.
Jm Unterschiede von der „Moral" als einer überkommenen oder
irgendwie erworbenen Summe von sittlichen Begriffen und Grundsätzen,
also von einem wesentlich theoretischen Bewußtseinsinhalt — verstehe
ich unter dem Ethischen die mannigfach verschlungene Gesamtheit all
Kunstwart
290