tiefer berühren, der rvird das fesselnd geschriebene Streitersche Buch selbst zur
Hand nehmen müssen.
Gegenüber Wagners überschwänglichen Hoffnungen, datz der neue Stil
sehr rasch da sein merde, ist Streiter sehr skeptisch gestimmt. Er faßt seine
Bedenken in den Satz zusammen: ,Mit dem Realismus, mit der Sachlichkeit
allein ist noch keine moderne Kunst, kein neuer Stil geroonnen, sondern nur
eine gesunde natürliche Grundlage hierfür/ Da Wagner grotze Erwartungen
auf neue Konstruktionen als stilbildende Faktoren setzt, behandelt Streiter im
dritten Kapitel bcsonders die Frage nach dem Zusammenhang von Konstruktion.
und Kunstform. (Schluß folgt.) j)aul Schumann.
Lose Llätter.
Grillparzers „Züdin von Toledo^
ist ein Werk, das der alternde Dichter bekanntlich im Groll dem unempfäng-
lichen Publikum vorenthielt. Jetzt erst sehen wir's mit an, datz es, wenigstens
in Dresden, auf der Bühne wirklich zu leben beginnt, indem es aus auf-
gehendem Vcrständnis starke innerliche Teilnahme erweckt. Bisher galt es als
ein Werk von ungleichem inneren Werte. Bisher fühlte man sich verliebt in
die schwarzen Augen der Rahel und stand und blieb unter ihrem Banne, auch
wenn sie der Dichter längst von der Szene entsernt hatte. Den beiden lctztcn
Akten folgte, so bekennt der alte Theaterpraktikus Laube, das Publikum nicht
mehr: cs hatte sür die feinsten Töne der Dichtung kein Ohr. Sollte es nicht
ein, wcnn auch unerwarteter Erfolg unserer moderncn individualisierenden,
persönlichen Kunst scin, daß wir sie jetzt nicht nur vernehmen, sondern uns
gerade an ihnen entzücken?
Die Zuschauer vergangener Jahrzehnte suchten Tgpen, wir suchcn Jndioiducn
auf. Nun ist ja Rahel durchaus nicht nur Individuum, ja sie ist cs viclleicht
weit weniger als der König Alfonso, als seine Gattin; sie ist ,nur das Weib
als solches, nichts als ihr Geschlecht". Nur als solches, als Geschlecht, fesselt
sie den König, der sie liebt, ohne sie zu achten. So ist sie denn auch in der
Dichtung nur ein Mittel zum Zweck, nicht mehr. Aber befangen von einer
Neigung, auch die ungeläuterte Natur im Lichte cines Jdeals zu erblicken,
sucht man und suchte inan leider vielfach auch heute noch in Rahel ein Jdcal,.
und trauert dann darüber, daß es elend vernichtet wird. Vielleicht meint man
in Rahel die Herocngrötze einer Leidenschaft zu finden, die nichts über sich er-
kennt. Aber wic weit diese Leidenschaft von der aufopfernden Liebe eines
Grctchen, wie weit fie von der trunkcnen Hingabe einer Julia entfernt ist,
überlegt man nicht. Für Nahel gibt es keine Opfer ihrer Persönlichkeit, nur
solche der Sinnlichkeit, die schlietzlich an sich selbst zu Grnnde gehen mutz.
Wohlweislich hat uns Grillparzer nur gezcigt, wie cs Rahcl gelingt, das Hcrz
des unerfahrenen KönigS zu cntflammen. Ucber die Frcuden dicser Liebe gleiiet
er rasch hinweg; dcr slüchtige Rausch kündet schon im drittcn Akte die kommende
Ernüchtcrung an. Sobald der Trank nicht mehr auf der Tafel winkt, verliert
er an verlockender Krast, und erst die Schalheit und Nüchternhcit, mit der der.
2. Februarheft
3ZS
Hand nehmen müssen.
Gegenüber Wagners überschwänglichen Hoffnungen, datz der neue Stil
sehr rasch da sein merde, ist Streiter sehr skeptisch gestimmt. Er faßt seine
Bedenken in den Satz zusammen: ,Mit dem Realismus, mit der Sachlichkeit
allein ist noch keine moderne Kunst, kein neuer Stil geroonnen, sondern nur
eine gesunde natürliche Grundlage hierfür/ Da Wagner grotze Erwartungen
auf neue Konstruktionen als stilbildende Faktoren setzt, behandelt Streiter im
dritten Kapitel bcsonders die Frage nach dem Zusammenhang von Konstruktion.
und Kunstform. (Schluß folgt.) j)aul Schumann.
Lose Llätter.
Grillparzers „Züdin von Toledo^
ist ein Werk, das der alternde Dichter bekanntlich im Groll dem unempfäng-
lichen Publikum vorenthielt. Jetzt erst sehen wir's mit an, datz es, wenigstens
in Dresden, auf der Bühne wirklich zu leben beginnt, indem es aus auf-
gehendem Vcrständnis starke innerliche Teilnahme erweckt. Bisher galt es als
ein Werk von ungleichem inneren Werte. Bisher fühlte man sich verliebt in
die schwarzen Augen der Rahel und stand und blieb unter ihrem Banne, auch
wenn sie der Dichter längst von der Szene entsernt hatte. Den beiden lctztcn
Akten folgte, so bekennt der alte Theaterpraktikus Laube, das Publikum nicht
mehr: cs hatte sür die feinsten Töne der Dichtung kein Ohr. Sollte es nicht
ein, wcnn auch unerwarteter Erfolg unserer moderncn individualisierenden,
persönlichen Kunst scin, daß wir sie jetzt nicht nur vernehmen, sondern uns
gerade an ihnen entzücken?
Die Zuschauer vergangener Jahrzehnte suchten Tgpen, wir suchcn Jndioiducn
auf. Nun ist ja Rahel durchaus nicht nur Individuum, ja sie ist cs viclleicht
weit weniger als der König Alfonso, als seine Gattin; sie ist ,nur das Weib
als solches, nichts als ihr Geschlecht". Nur als solches, als Geschlecht, fesselt
sie den König, der sie liebt, ohne sie zu achten. So ist sie denn auch in der
Dichtung nur ein Mittel zum Zweck, nicht mehr. Aber befangen von einer
Neigung, auch die ungeläuterte Natur im Lichte cines Jdeals zu erblicken,
sucht man und suchte inan leider vielfach auch heute noch in Rahel ein Jdcal,.
und trauert dann darüber, daß es elend vernichtet wird. Vielleicht meint man
in Rahel die Herocngrötze einer Leidenschaft zu finden, die nichts über sich er-
kennt. Aber wic weit diese Leidenschaft von der aufopfernden Liebe eines
Grctchen, wie weit fie von der trunkcnen Hingabe einer Julia entfernt ist,
überlegt man nicht. Für Nahel gibt es keine Opfer ihrer Persönlichkeit, nur
solche der Sinnlichkeit, die schlietzlich an sich selbst zu Grnnde gehen mutz.
Wohlweislich hat uns Grillparzer nur gezcigt, wie cs Rahcl gelingt, das Hcrz
des unerfahrenen KönigS zu cntflammen. Ucber die Frcuden dicser Liebe gleiiet
er rasch hinweg; dcr slüchtige Rausch kündet schon im drittcn Akte die kommende
Ernüchtcrung an. Sobald der Trank nicht mehr auf der Tafel winkt, verliert
er an verlockender Krast, und erst die Schalheit und Nüchternhcit, mit der der.
2. Februarheft
3ZS