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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,1.1898-1899

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Heft 10 (2. Februarheft 1899)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7957#0365

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rvcscns- Und sie hnt es sich nicht ver-
drießen lnssen, selbst auf die Wande-
rung zu gehen und auch aus den ent-
legcnsten Thälern der Schweiz die not-
rvcndigen Trachten zu beschaffen.

Mit lebhaftem Bedauern liest man
im Texte, der jedes der Zs Blätter be-
gleitet, daß die meisten dieser Trachten
entwedcr schon ausgestorben oder doch
dem Untergange gewidmet sind. Ueber
diescn Vorgang hören wir manches
Lehrreiche, wcnn auch nicht gerade viel
Tröstliches. Von planmäßigen und
erfolgreichen Bestrebungen zur Erhal-
tung der Trachtcn, wie in Freiburg
i. Br., ist leider nicht die Rede, obwohl
es in der Schweiz gewiß manchen
„wurmt", Zeuge sein zu müssen, wie
die alten guten Gewohnheiten dahin-
schwinden. Jnteressant sind vielleicht
folgende Beobachtungen, die wir aus
dem Texte zusammentragen. Nirgends
in der Schweiz gibt es eine kantonale
Tracht; sast immer sind es die Thal-
schaften, die ihre spezifischen Trachten
aufweison. So hat es im Kanton
Aarau vier verschiedene Trachtcn ge-
geben: obcrer Aargau, Freiamt, ehem.
Grafschaft Baden und ehem. österrcichi-
schen Frickthal. Die Patriziertrachten
sind zuerst verschwunden; was noch
ganz oder wcnigstens teilweise erhalten
ist, sind nur Volkstrachtcn im engeren
Sinne. Die Männcr legcn die Tracht
zuerst ab, die Frauen halten viel länger
und viel züher daran fest. Die prote-
stantischcn Kantone lassen die Tracht
eher sallcn als die katholischen. Jn
dem katholischcnAppenzell-Jnner-Rho-
den lcbt noch ein Völklein, das sich
den alten Stolz auf seine Trachten
erhalten hat. Jn Deutsch-Freiburg
hat sich die Tracht seit cinem Jahr-
hundcrt fast nicht verändert, bei den
Wälsch-Frciburgern hat sich über-
haupt keine Tracht entwickelt.

Die Tracht hängt mit dem Haus-
fleiß zusannncn. Die Träger stellten
sie aus selbst crzcugtcn Stoffen her.
Je wciter die Fabrikation und der
Verkehr vordringt, umsomehr vcr-
schwindet die Tracht. Jn weltfcrncn
Thälern ist die Volkstracht noch heute
an dcrTagesordnung, sobald die Eisen-
bahnen sich dahin erstreckcn, kommt sie
auf dcn Aussterbcetat. Neben dem
Kulturfortschritt hat auch der unver-
ständige Spott der Städter dazu bei-
getragcn, so in Bern gegcnübcr der
übcraus origincllen Guggisberger
Tracht. H

Hottenroths Beobachtung, daß die

Volkstrachten stehen gebliebene Trach-
ten der Vorzeit seien, bewahrheitet sich
z. B. im Lötschenthal im Wallis, einem
Thal, wohin weder Fahrstraße noch-
Telegraph führt. Die Hochzeitstracht
mit dem gestickten Frack und den wei-
ßen Kniestrümpfen entspricht durchaus
der französischen Zopfzeit und würde
einem vornehmen Städter um ;?8o
alle Ehre gemacht haben. Die Frau
trägt einen unsinnig geschnürten Pan-
zer, die Taille ist vollständig mit Fisch-
bein gefüttert, das gesamte Kleid ist
aber im eigenen Lande gefertigt. Der
steife gefältete Radkragen, den wir von
den Bildnissen des ^7. Jahrhunderts
kennen, hat sich noch in der Frauen-
tracht im Kanton Deutsch-Freiburg
erhalten. Jm Gegensatz zu Hotten-
roths zu allgemeiner Behauptung be-
weisen aber manche andere Trachten,
daß sie in der Volksart und iu deu
Natur des Landes wurzeln.

Eine ansprechendeBemerkung macht
Frau Heierli bei der Besprcchung der
Tracht des Verzascas im Kanton Tessin.
Die Mädchen tragen dort Münnerhüte,
vermutlich, weil sie Männerarbeit ver-
richten. Das Gegenteil findet sich näm-
lich im Lötschenthal. Jm Sommcr ist
dort das Vieh den Frauen überlassen.
Jm Winter aber werden die Tiere in
Ställen untergebracht, die weitab von
den Wohnhäusern licgen. Da der Wcg
dahin mühsam durch Schneemassen
gebahnt werden muß, versorgen die
Männer in dieser Zeit das Vieh. Da-
bei tragen sie das Hirtenhemd und den
Frauenhut. Offenbar thun sie dies
in dem Gedanken, daß sie eigentlich
Fraucnarbeit verrichten, daß sie diese
nur ihren Frauen zuliebe wegen der
rauhen Witterung und des beschwer-
lichen Weges übernchmen. Jm Thal
von Jlliez, das von Montreux nach
der Dent du midi führt, tragen übri-
gens Fraucn und Müdchen, welche die
beschwcrliche Alpenwirtschaft besorgen,
zum Teil (ebenso wie die Wildheue-
rinnen im Kanton Schwyz) Männer-
kleidung bis aus das rote Kopftuch,
das ganz malerisch und graziös mit
eiuer einzigen Nadel so besestigt wird,
daß der eine Zipfel über dcn Nückcn,
der andere über die rechte Schulter
fallen muß.

Was schließlich die Erhaltung der
Tracht anbetrifft, so ist nach Frau
Heierli bei der sehr kleidsamen Tracht
der Bernerinnen am ehesten die Hoff-
nung berechtigt, datz sie noch geraume
Zeit bestehen werde. Hoffentlich erhält

2. Februarheft ^899

ZSZ
 
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