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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1909)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0039
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dämpftem, fast ehrerbietigem Toae zir ihnen, als ob sie zu Erwachsenen
redete, „habt ihr's erfahren?"

Und anch Gesima schaute die Knaben scheu an.

„Was für eine Anderung?" fragten diese.

Therese blickte auf den Boden. „Nun, ihr werdet's noch immer früh
genug vernehmen; genießt nur unbefangen eure letzten Ferientage und
seid fröhlich, es ist euer heiliges Recht. — Wohin mit dem Gerold,
Hansli?"

„Nur ein wenig auf Entdeckungen ums Haus herum," antwortete
Hansli, „Gesima, du bleibst hier; dich können wir nicht brauchen."

„Ihr dürft euch aber nicht mehr zu weit entfernen," mahnte Therese,
„denn in einer starken halben Stunde kommt die Post. Und da habt
ihr es dann nicht wieder mit einem langmütigen Privatwagen zu tun,
der euretwegen einen halben Tag auf dem Fleck wartet, sondern mit
einem obrigkeitlichen Fahrplan, der auf niemand Rücksicht nimmt; da
geht es strikte nach der Uhr."

Das mit der Entdeckungsreise ums Haus war nur ein Bierteil der
Wahrheit: ein Komplott gegen Gesima heckte Hansli. Kaum hinter
den Pappeln bei der Scheune angelangt, hielt er still und zog Gerold
ins Vertrauen, indem er sich eng an ihn anschmiegte, um ihn besser zu
überzeugen. „Wir wollen suchen," flüsterte er, „daß wir beide auf den
Bock oder auf das Postdach zu sitzen kommen, und Gesima ins Innere
des Wagens, dann sind wir sie bis Bischofshardt los."

Gerold gab keine Antwort, sondern brummte nur.

„Das allerschönste wäre," fuhr Hansli fort, „wenn sie den Postwagen
verfehlte; freilich müßte man hierfür ein Mittel finden, sie aus dem
Haus herauszulocken. Wenn wir ihr zum Beispiel angäben, im Garten
wären Himbeeren? Was meinst du?"

Wiederum begnügte sich Gerold mit Brummen. — „Aber ist denn
das wirklich schon die Post, dort in der Clus? Es ist doch noch viel
zu früh."

Hansli spannte den Blick; er sah weiter und schärfer als sein Bruder.
„Bewahre, es ist ja bloß ein einziges Pferd, und gar kein Wagen da-
hinter." Plötzlich tat er einen Luftsprung: „Ein Dragoner!" schrie er.

Argerlich verwies ihm Gerold die unbesonnene Meldung. Er war
durch die Erfahrung gewitzigt; ihm war durch tausend schmerzliche Ent-
täuschungen der Glaube an leibhaftige Soldaten, geschweige denn an
Dragoner, in der gemeinen Alltagswirklichkeit längst abhanden gekommen.
Eher noch an den Osterhas glauben, als an Dragoner. Ach Gott, wie

viele hundert Male hatte er vorzeiten beim Gepolter jedes Rumpel-

karrens gemeint, eine Trommel zu hören, beim Aufschein eines bunten
Frauenhutes cinen Tambourmajor zu sehen. Und hernach die grausame
Enttäuschung! Lieber ein für allemal die Hoffnung aufgeben. — And
doch! Diesmal sieht es wirklich von fern einem Dragoner gleich, es
glitzert etwas auf dem Kopf des Reiters, wie ein wahrhaftiger Helm,
und etwas an seiner Seite wie eine Säbelscheide. Wenn der Hansli
recht hätte! O Bangigkeit, o Hoffnung! Ietzt fragt sich's bloß: hat
er Epauletten, hat er einen roten Streifen an den Hosen, einen roten
Halskragen? Ia, ja, ja, kein Zweifel mehr, ein leibhaftiger Dragoner.

Aber wohin der wundersame Schmetterling schwenken wird, wenn er

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