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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1909)
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Rath, Willy: Anzengruber
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0461
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davon keine ernstlich hinter die übrigen zurückgestellt werden kann:
„Die Kreuzelschreiber" mit ihrer aristophanisch-oberdeutschen
Verspottung übersinnlich-sinnlich-unsinniger Beklemmungen und der
glücklichsten Verkörperung spinozistischer Weisheit, „Der Doppel-
selbstmord" mit der klassisch kecken Erledigung des ewig-geglaubten
Motivs „Liebend Paar und harte Väter", „Der Gwissenswurm",
diese lichte Neudeutung des Tartüff-Gedankens durch ein geistesklares
und gütiges deutsches Gemüt) feruer die elementare Wiener Er-
ziehungs-Tragikomödie „Das vierte Gebot" und das tiefwühlende
Gewissensdrama „Der Meineidbauer", ungeachtet etlicher Zu-
falls-, Melodram- und Kriminalsensation.

In diesen lctztgenannten beiden, auch im „Pfarrer von Kirchfeld",
im „Fleck auf der Ehr", in „Stahl und Stein", im „Ledigen Hof"
(einem Schauspiel von seelischer Reinlichkeit, das mehrere moderne
Eintragsstücke vorwegnahm) tritt mehr oder minder deutlich eine inter-
essante innere Verwandtschaft mit dem Gesellschaftskritiker Ibsen her-
vor, zum guten Teil (z. B. „Meineidbauer", (872) bevor der Nor-
weger in München mit den „Stützen der Gesellschaft" ((877) die Haupt-
reihe seiner Gegenwart-Sittendramen eröffnete. Nnsern Iüngstdeut-
schen kam Anzengruber um reichlich ein Iahrzehnt zuvor; indem er
in aller Nnbefangenheit seinen angebornen Kraften rüstig Spiel-
raum schuf, ward er ein Moderner vor der Moderne. Nnd so war
es nur gerecht, für den Ausklang dieses Dichterlebens aber eine
glückliche Fügung, daß die Begründer der „Freien Bühne" zu Berlin
in einer ihrer ersten Aufsührungen Anzengrubers „Viertes Gebot"
zu vollem Erfolge brachten; dadurch bereiteten sie unmittelbar, sowie
mittelbar, durch die Rückwirkung auf Wien, dem Verfasser kurz vor
seinem Ende eine hohe Genugtuung.

Den Titel cines Naturalisten hat Ludwig Auzengruber nur vor-
übergehend zu tragen gehabt. In seiner Wirklichkeitstreue ist ja
das, was dem Naturalismus fehlte: Lebensbejahung, Ethik, Humor.
Er selbst nsnnt sich in dem höchst lesenswerten künstlerischen Be-
kenntnis von (87(> (Einleitung zu „Dorfgänge, )l") einen Realistiker.
Allein um die Ünterabteilung kann es uns hier gar nicht zu tun
sein. Die wesentlichere Aberzeuguug lebt, nun neu befestigt, in uns
und über uns Heutige hinaus: daß Anzengruber auf jeden Fall
zu den Meistern deutscher Dichtung zählt. Wenn große Verehrung
eine kleine Umdeutung heiligen kann, so möchten wir dem Dichter
selbst seines Steinklopferhanns Tröstung, im Hinblick auf unsre Ün-
sterblichen, zurückgeben: „Es kann dir nir geschehn; du gehörst zu
dem allen, und das alles gehört zu dir — es kann dir nir ge-
schehn. . . . " ' _M i l l Y Rath

Lose Blätter

Aus der Ballade ^Deutsches Necht"

vou E. von Handel-Mazzetti

fWir haben die beiden Stücke, die wir im folgcnden abdruckcn, gc-
flissentlich fnr unser Wcihnachtsheft aufgespart, nicht nnr als ganz be-

38H Kunstwart XXIII, 6
 
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