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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1909)
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Gregori, Ferdinand: Vom Neuen in der Schauspielkunst
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Polenske, Karl: Sachlichkeit und Sachenrecht
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0116
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einander verknüpft oder voneinander abgehoben werden! Ich weiß
mich genau zu erinnern, wie frühsr die Verwandlungen auseinander-
fielen und wie der Zuschauer erst nach der zweiten, dritten Szene
des neuen Aktes mühselig wieder ins Bild hineinkam. Was aber
das Wichtigste ist: der moderne Schauspieler ist im Durchschnitt
schweigsamer als der alte. In einer guten Ibsenaufführung laufen
viele Fäden zwischen den Seelen der Darsteller hin und her, die nur
der erkennt, der mehrmals zu sehen kommt. Der Schauspieler ist sich
der Würde des Dichters und also seiner eigenen bewußt; er weiß, daß er
keine Kinderfibel interpretiert, sondern ein Kunstwerk, das höchste tzin-
gabe auch des reifen Genießers fordert. So rutscht er nicht unaufhaltsam
die Skala seines Organs auf und ab, um den Leuten eine Sentenz, einen
bedeutsamen Knoten im Gewebe ausrufermäßig zu zeigen; so spart er
mit dem Klappern des Augenlids, mit der Bewegung des Kopfes,
Rumpfes, Oberarmes, weil vielleicht eine kleine stumme Sprechpause
bcredter wirkt. Er sucht mit dem kleinsten Kraftmaß die große Wirkung
zu erzielen, die dem Dichter vorgeschwebt hat.

Dies Stilisieren nach innen, das den Ibsenschen Gesellschaftsstücken
im reinsten Sinne gemäß ist, wird nun freilich leicht zur Farblosigkeit
und versagt deshalb bei den monumentalen Charakteren Shakesperes
und unsrer großen Dramatiker, die die Farben verschwendet haben.
Auch hier ist ja strengste Selbstzucht des Schauspielers geboten, aber
mlt dem Beugen des kleinen Fingers, mit dem kaum merkbaren Zucken
der Mundwinkel, mit einem Viertelschritt dient man hier der Stim-
mung, dem Fortschreiten der tzandlung nicht zur Genüge. Zwar
verharren auch hier die Glieder lange in Ruhe, schweigt man, um
einen Entschluß vorzubereiten, aber Körper und Seele sind in
einer viel strafferen Spannung und lösen dann diese Spannung
durch eine weitausladende Geste, die dem großen Gegeustande die
Wage hält, durch einen Schrei, der die weite Heide erfüllt, durch eine
gebieterische Wendung des Körpers, die einen ganzen Krieg bedcutet.
Die Sehusucht nach solcher Kunst steckt in jedem Schauspieler, und
solange sie ihm nicht verloren geht, darf man nicht von einem Ver-
falle reden. Wollte man jemand dafür verantwortlich machen, so könnte
es nur die Zeit sein, die sich mit dem Kleinkram so viel abgibt, daß
sie selbst das Große aus den Augen verloren hat.

Ferdinand Grcgori

Sachlichkeit und Sachenrecht

>^achlichkeit betätigt sich in kräftigem Herausarbeiten der wesent-
((^lichen Eigenschaften einer Sache und ist nur möglich bei einem
^^dauernden Herrschaftsverhältnis zu der Sache.
Hätte Mörike nicht wieder und wieder „lange Nachmittage dem Kuckuck
horchend in dem Grase liegen" und ungestört die Fülle Himmels
und der Erden einsaugen dürfen, er hätte uns gewiß nicht ihre Schön-
heit so stark und rein gestalten können.

Ebenso ist's, und noch deutlicher merkt man es bei körperlichen
Sachen. Wer wird seiner Wohnung eher ein Hausgestühl geben, das
allen ihren Eigenschaften entspricht: wer sich vermöge eines halbjähr-
lich kündbaren Mietsverhältnisses in ihr aufhält, oder wer sie kraft

^86 Kunstwart XXIII, 2
 
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