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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1909)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Wann geht's an die Herrentracht?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0362
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Iahrg. 23 Erstes Dezernberheft 1909 Heft5

Wann geht's an die Herrentracht?

/^a, man sollte denken, wir wären nun bald so weit. In Kleider-
^^sachen den Damen den Vortritt — wohl, die Damen, oder wenn
^)sie noch nicht, so doch gottlob die Frauen sind ihrerseits ja wirk--
lich schon tapfer beim Reformieren. Es ist den gescheiten Mitschwestern
aufgegangen, was einige hochästhetische Feinseher männlichen Ge°
schlechts immer noch nicht merken: daß sich's hier gar nicht allein
um Fragen des „künstlerischen" Geschmacks, daß sich's anch um solche
der Gesundheit und um solche der ethischen, sozialen und volkswirt-
schaftlichen Arbeit handelt. Und das gab ihrem Wollen Nachdruck.
Es ist ihnen gelungen, ihre Reformtracht außerhalb der Mode
zu stellen, was das allerschwerste war. Nun „hält" sie sich schon viel
länger, als eine Mode sich hält. Sie läßt die Modenkleider sozu-
sagen an sich vorbeilaufen und nimmt von ihnen nur herüber, was
gefällt, ohne das Wssen der Reformtracht zn berühren. Frauen,
die sich einmal des Korsettpanzers und der Stöckelschuhe entwöhnt
und die nun erfahren haben, „wie leicht sich's leben läßt", sind so
ziemlich vor der Versuchung gefeit, sich in stelzenlaufende Schnür-
pakete zurückzuverwandeln. Nnd wer weiß: denen, die noch immer
nach Paris als der Residenz Seiner Majestät des dekretierenden Schick
sehen, keimt vielleicht, noch im Ungesehenen, schon eine ähnliche Äber-
raschung, wie den Bewunderern dcr französischen Führung im Kunst-
gewerbe — daß in Paris selber Sachverständige mit dem Bekenntnis
auftreten: o weh, die Deutschen haben uns überholt. Iedenfalls
rät die Lrfahrung beim Kunstgewerbe zu allem andern eher, als
zum Schwimmen im Seinewasser.

Aber wir Männer!

Nenlich war ich in einer Gesellschaft von künstlerisch Angeregtcn.
Die Frauen und MLdchen ausnahmelos in erträglichen, einwand-
freien, zum Teil sogar hübschen Reformtrachten schon recht mannig-
faltiger Art und mit reichlicher Verwendung von Farben. Sie sahen
fröhlich und festlich aus. Aber wir Männer erscheinen bekanntlich,
wenn wir vergnügt sein wollen, in Tranergewändern. Schwarzer
Gehrock. Wenn's festlich scin soll: Frack. Bringt man sein Auge
einmal aus dem Bann der Gewohnheit heraus, so sieht einem die
festliche Herrenschaft aus wie eine Schar heiter gewordener Leichen-
bitter. Wer nicht geschwärzt ist, wird schief angesehn. Nur wenn
Narrenfest ist, darf der Herr der Schöpfung riskieren, sich vernünftig
anzuziehn.

Zieht er sich dann wieder aus, so gibt ihm das beste Gelegenheit,
des Sinnvollen seiner Tracht denkerisch zu genießen. Was für ein
Gebilde, hoch über den irdischen Anforderungen, ist doch z. V. sein
Frack! Was Farbe betrifft, so hat er zwar keine, aber die Form!
Daß män in deinen Gehrock vorn eine viereckige Bucht schneidet,
dieses, o Mensch, wandelt ihn zum Festkleid. Im übrigen: er hat
vorn, hinten und an den Armeln einige Knöpfe. Nicht gemeine

l- Dezembcrheft G09

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