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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1909)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0406
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richtig gesehen, alles übrige aber notwendig verkleinert oder verzerrt.
Ich habe nicht die lächelnde Ursprünglichkeit, die gottlose Unbefangenheit,
solche Perspektiven zn zeichnen. Ich bin keiner von denen, die tnn
müssen, was sie nicht lassen können. Und, meine Freunde, ich liebe das,
was da in die perspektivischcn Richtlinien gewaltsam hineingekramt wird,
all das ungcheure, ewige Leben, und ich will dieses letzte Glas, wie
ich bei allen kleinen Feiern — und ich feire sehr gern — zu tun mir
erlaube, mit dem wundervollen Spruch erheben, den zwei deutsche Dichter,
der eine geprägt, der andre in Umlauf gebracht haben: »Es lebe das
Leben!«"

Es lebe das Leben!

Nundschau

Nach dem Schiller-Tage

^m Iahre l905 war ein wert-
Ovoller Anlaß, eine latente, noch
immer vorhandene Gesinnung, eine
im stillen lebendige und wirksame
Liebe und Verehrung, die man
unterm Eindruck einer allzu lauten
öffentlichkeit längst tot geglaubt
hatte, wieder zu entdecken, laut
auszusprechen, festlich zu dokumen-
tieren. l909 kebte diese Gesinnung
schon allcnthalben, und es war
nicht einmal mehr so nötig, sie
zu bekennen. Man hattc sie nur
zu pflcgen; der Festtag war dies-
mal am bcsten als Gelegenhcit zur
stillen Einkehr zu betrachten, zur
andächtigcn Besinnung, zur beson-
deren Freude an einer Liebe und
Verehrung, dercn man im Bewußt-
sein Tausender von Gleichfühlenden
doppelt froh war. Man hatte
wieder einen Schiller, der mehr
als Vcrgangenheit war, den die
Gcgenwart brauchte und der in
eine freudig angestrebte Zukunft
wics, — noch immer wies, wie
vor hundcrt Iahren. Man hatte
zurückgcblickt in unzähligen Auf-
sätzen auf eine mchr als hundert-
jährige Entwicklung, während der
Schiller immer wieder der Nation
in allen ihren Kämpfen Helfer
und starkcr Freund gewcsen war:
man hatte das junge Vürgertum

des f8. Iahrhunderts in seinem
ersten Erwachen zur Selbständig-
keit geschen, das Bürgertum des
beginnenden l9. Iahrhunderts in
der Begeisterung der Freiheitskriege
und in seiner Sehnsucht nach natio-
naler Einigung, das Bürgertum
der vierziger Iahre und das von
59 mit seinen nationalen und frei-
heitlichen Forderungcn, den politi-
schen Liberalismus des letzten hal-
ben Iahrhunderts — und alle
dicse, so vielfach voneinander ver-
schiedenen Bestrebungen hatten
Schiller zu ihrem Bundesgenossen
gemacht, sich auf ihn berufen und
ihre Begeisterung an seinen Ge°
danken genährt. Man hatte end-
lich im Festjahre selbst von MO
Schiller für die verschiedensten
Strebungen in Anspruch genom-
mcn. Nun war doch wohl zu
guter Leht die Möglichkeit da:
aus allen diesen Nückblicken und
dieser ganzen neu erwachteu und
auf allen Seiten lebendigen Be°
geisterung die eindringliche Lehre
zu zichn. Die Lehre, daß Un-
recht tat, wcr Schiller nur als
Anwalt irgendeiner all dicser ein-
zelnen geschichtlichen, in der Zeit
bcfangenen Bestrebungen bctrach-
tcte. Man sollte dcnken:. Aus
der allgemeinen Begeisterung von
l905, in die dank der neu erweck-

l- Dezemberhcft l909

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