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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 4 (2. Novemberheft 1909)
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Gleichen-Rußwurm, Alexander von: Schiller und die ästhetische Kultur
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0291
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Ansrcht, zum Schöpfer von Schönheitswerten bestimmt. Schönheit
hervorzurufen ist seine natürliche Aufgabe, sein unausrottbarer Drang,
wie es der innere Drang eines Malers ist zu malen. Der Mensch
ist im innersten Wesen getroffen, er mutz grausam verschmachten und
dahinschwinden, wenn er sich nicht entwickeln kann, in Freiheit Schönes
zu schaffen — unaufhörlich Schönes hervorzurufen und es in seiner
Amgebung auszustrahlen. Die Tragödie der Menschheit liegt darin,
daß ihr eigentlicher Beruf verkannt wird, daß tausend Feindselig-
keiteu sich gegen die mächtige Sehnsucht seines Schöpfertums ver-
schwören, die Künstlerschaft in ihm an der Entfaltung hindern. Ohne
Schönheit verkümmern wir. Den Weg unser Leben zu einem schönen
Leben auszugestalten, zeigt die ästhetische Erziehung. Das Schöne
kann nicht erkannt, es muß hervorgebracht und empfunden werden.

Alexander von Gleichen-Rußwurm

Lose Blätter

Der neue Keyserling

fAls man den Dichter E. von Kehserling kennen lernte, geschah es
durch ein Theaterstück mit Namen „Frühlingsopfer", ein Spiel, das
stimmungsstarke Bildchen vom litauischcn Frühling und vom Mädchen-
schicksal, doch zu wenig von einem Drama gab. Schon damals (in
München geschah es vor ungefähr neun Iahren) konnte man nicht bloß
das Dichtertum des Grafen Kehserling erkcnnen, sondern auch seine be-
sondere Berufung zur erzählenden Poesie, zur Novelle. Aber keiner
HLtte wohl mit Gewißheit voraussagen können, was für ein reicher
Künstler, was für ein Erzähler ersten Nanges in dem vornehm bescheide-
nen Mann steckte, der zu jener Zeit schon kein Iüngling mehr war.

Seitdem kämpft er einen stillen Heldenkampf gegen den Tyrannen
Körper, der mit schwerem Leiden seinen Geist niedcrwerfen möchte; und
seitdem schenkt er nns Prosadichtungen, die ihn auf einer ungeahnten
Höhe zeigen, die von Werk zu Werk glänzender — doch das ist nicht das
rechte Wort — klarer leuchtend seine novellistische Meisterschaft dartun.
Der Begriff des Novellistischen wird hier weit genug zu fassen sein, daß
die große Novellenart, die außer dem einen Kernerlebnis ein liebevoll
ausgeführtes Nmwelt-Abbild bringt, eingeschlosscn wird. So gab Kchser-
ling im vorigen Iahr die Romannovelle „Dumala" (Kw. XXI, (8), so in
diesem Band „Buntc Herzen", der anßer der großen Novelle desselben
Titels eine zweite, „Seine Liebeserfahrung", enthält. Beide Aberschriften
verleumden durch zu grelle Gemeinverständlichkeit ein wenig den Stil
der Dichtungen, die sie ankündigcn. Doch das ist am Ende „Pflicht und
Recht zugleich" des Ankündigers.

Das Buch „Bunte Herzen" spielt wieder im Nordostcn, den der
Dichter als Sproß eines baltischen Geschlechts so genau kennt. In lcichter
Bermummung begibt er sich selber in die Handlung; mindcstens ist cr
nah verwandt mit dem Grafen von Wandl-Dux, desscn Gut Kadullen den
Schauplatz stellt:

„Graf Hamilkar, sehr lang und schmal in seinem schwarzen Gehrock,
hielt sich ein wenig gebeugt. Das glattrasierte Gesicht mit dem langen,

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