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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1909)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0146
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Allgerneineres

Wie es da schrie,

Das arme Vieh,

And unter Augstgcwimmcr
Bald hoch, bald ticf
Um Hilfe rief,

Vergeß ich uie und nimmcr. Busch

Rundschau

Hoch-Zeiten

flaumenleichte Zeit der ersten
„^Frühe" — so erwartungsvoll und
feierlich blickt mich der junge Tag
an! Ich stehe auf dem Balkon und
blicke über den Bodensee. Die ersten
Sonnenstrahlen schauen neugierig
über deu Pfänder herüber, der
Säntis glänzt schon, als sei er be-
reits mitten in seinem Tagewerk:
Wässerlein zn stürzen, Schneemas-
sen abzuschieben, Steine zu rollen,
Wälder zu bauen. — Die Luft ist
köstlich frisch. Kein Mensch weit
und breit. Die Amseln singen und
die Stare zwitschern und das freche
Spatzenvolk ist schon auf der Straße.
Rnwillkürlich recke ich die Arme und
pumpe mich voll mit dcr würzi-
gen Morgenluft, so viel die Lungen
nur halten wollen und Brust und
Leib zu spannen vermögen. Da lacht
mich die Welt an als wolle sie
sagen: Bist auch schon auf, du Faul-
pelz und Langschläfer? Schau nur,
was für Herrlichkeit heut wieder für
dich bereitet ist. Das alles gehört
dir, dir ganz besonders! Was ge-
denkst du nun zu beginnen mit all
dem Neichtum, der da vor dir liegt?

Wenn du noch ein Maler wärst,
gelt, das wäre eine Aufgabe! Da
könntest du dich ausleben in Farben
und Lichtern und schwelgen in For-
men und Linien! Aber so haben
wir uns wohl vergcbens angestrengt,
und sie nützt dir doch nichts, all diese
Gottesherrlichkeit in Rot und Blau
und Grün und Gelb.

Was für unermeßlichc Schätze
bringt uns doch jeder Tag entgegen!
Was für einen Reichtum und was
für eine Fülle! Und wie nnverant-
wortlich gehen wir mit diesen Schät-
zcn um, wieviel bleibt brachliegen!

Ein neuer Morgen ist ein neues
Lebcn-

Da komme ich an meinc Arbeit,
und junge Augen blitzen mich an.
Was werde ich ihnen heute geben?
Treffe ich das Rechte, oder wird's
wieder mal nichts werden? Und
diese Kinder, die mich erwartungs-
voll anschaucn, wie ich den Mor-
gen, sind sie nicht auch neue Tage,
Morgenstunden der Menschheit?
Welch eine Fülle ungeahnter Ent-
wicklung in jeder kleinen Men-
schenpflanze. Was mag ihr allcs
vom Schicksal in den Rucksack ge-


Kunstwart XXIII, 2
 
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