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Meyer, Carla; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0057

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2. Nürnbergs verschiedene (Er-)Fassungen

Nürnberger um 1500 ausdrücklich ihrer Stadt beziehungsweise Stadtgemeinde
vergewissern. Als so genannte »formative« Quellen in der Terminologie Jan
Assmanns müssen sie eine reflexive und explizierte Antwort auf die Frage ge-
ben: »Wer sind wir?«^
Damit fallen freilich auch Quellen aus dem Raster der Studie, die auf den er-
sten Blick vielversprechend erscheinen mögen. Als Beispiel kann das berühmte
»Baumeisterbuch« gelten, dass der Patrizier Endres (II.) Tücher in den Jahren
1464 bis 1470 verfasste und bis 1475 mit Nachträgen bereicherte. Zwar haben
»wir darin ein deutliches bild von der physiognomie der guten alten stadt er-
halten«, wie Friedrich von Weech 1862 in der Einleitung zur Edition formulier-
te.^ Doch Tuchers detaillierte Verzeichnisse von öffentlichen Bauwerken und
der gesamten städtischen Infrastruktur, regelmäßig wiederkehrenden Instand-
haltungsarbeiten und -kosten, den Handwerkern und Taglöhnern in seinem
Dienst, ihren einzelnen Aufgaben und Löhnen, haben das Ziel, seinen Amts-
nachfolgern die ihnen auferlegten Pflichten aufzuzählen und damit in Zukunft
die Amtsausübung zu systematisieren und zu erleichtern.^ Deutlich wird dies
etwa in den einleitenden Worten, die er dem umfangreichen immerwährenden
Kalender zu Beginn seiner Aufzeichnungen voranstellt: &r süd± Mnd
on z%H Mnd so ud ist, das die ein paMmdstor mt wod ado in dom sinno ado-
mogopoi andern tegücden zn/bden nnd gesede/ten getragen mag, darnmd dad icd diesen
doiender zn einer oernmnnng genmedt.^ Es folgt eine ausführliche Gebrauchsan-
weisung, wie der Kalender angeordnet und damit zu benutzen sei.

64 Diese Prämisse steht im Kontrast zu vielen Arbeiten mit ähnlichen Fragestellungen: So lässt
sich etwa der Begriff des »bürgerlichen Selbstverständnisses«, wie ihn Heinrich Schmidt
in seiner Studie über die deutschen Städtechroniken des Spätmittelalters verwende, nach
dem Urteil BoRGOLTES, 1997, S. 195f., als »Alltagsphänomen« definieren, »das präreflexiven
Charakter« trage. Auf dieselbe »normative Funktion« von Identität zielen auch die Beiträ-
ge des Sammelbandes: GiORGio CmTTOLiNi und PETER JoHANEK (Hg.), Aspetti e componenti
dell'identitä urbana in Italia e in Germania (secoli XIV-XVI). Aspekte und Komponenten der
städtischen Identität in Italien und Deutschland (14.-16. Jahrhundert), Bologna, Berlin 2003
(Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento, Contributi/Jahrbuch des italienisch-
deutschen historischen Instituts in Trient, Beiträge 12), oder der Aufsatz: HANS-CHRisTOPH
RuBLACK, Grundwerte in der Reichsstadt im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in:
Fiteratur in der Stadt. Bedingungen und Beispiele städtischer Fiteratur des 15. bis 17. Jahrhun-
derts, hg. von HoRST BRUNNER, Göppingen 1982 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 343),
S. 9-36. Und auch für die von GiESEN, 1999, S. 18ff., abstrakt als Analysemuster entworfenen
»Codes kollektiver Identität«, anhand derer sich die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft er-
kennen oder negieren lasse, bleibt der Grad der Reflexivität irrelevant.
65 Endres Tuchers Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg (1464—1475), mit einer Einleitung und
sachlichen Anmerkungen von FRIEDRICH voN WEECH, hg. von MATTHIAS FEXER, Stuttgart 1862,
ND Amsterdam 1968 (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 64), S. 10.
66 Eine Zusammenfassung der dem Baumeister auferlegten umfassenden Pflichten gibt von
Weechs Einleitung zur Edition, vgl. Endres Tücher, Baumeisterbuch, ed. FEXER, voN WEECH,
1862, ND 1968, S. 1-16.
67 Ebd., S. 18. Vgl. bereits Tuchers programmatische Erklärung ebd., S. 17f.: nit das cs pei den
dernaed gesedriden stucken Mud artiedein adweg also desteen oder deieiden sode, oder das icd dwi/tige
panweister lernen oder unter riedten wode, des sie uor wer dann icd wissen etc. dann sied die ding ade
saw tegücds uerderen nnd endern in ein nnd ander, so wag ader doed ein panweister anj? dew aden
adnewen, wie es uor gedaiten worden ist, nnd sied aned dester paj? dnn/tigücden darnaed wissen zn
riedten etc.
 
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