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Repertorium für Kunstwissenschaft — 2.1879

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Redtenbacher, Rudolf: Wer war Michelangelo's Architekturlehrer?
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https://doi.org/10.11588/diglit.61799#0144

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R. Redtenbacher: Wer war Michelangelo’s Architekturlehrer?

Richtung herausgearbeitet, welche auf dem gründlicheren Studium der römi-
schen Monumente, namentlich der Triumphbögen beruht, wie sein Codex auf
der Barberina beweist. Seine sechs Faqaden zu St. Lorenzo in Florenz sind
römische Triumphbogenfaqaden in erweiterter und dem Kirchenbau angepasster
Form. Diese Pläne stammen aus dem Jahr 1516, und Giuliano concurrirte
gleichzeitig mit Baccio d’Agnolo, Andrea und Jacobo Sansovino, Raffael und
Michelangelo, laut Zeugniss des Vasari (VII. 204).
Die Architektur dieser Faqaden macht trotz vieler noch in ihnen erhal-
tenen Motive des früheren Stils so entschieden den Eindruck der Spätrenaissance,
dass kein Mensch dem Erbauer des Palazzo Gondi zutrauen würde, die Zeich-
nungen seien von ihm entworfen ; alle handschriftlichen Randbemerkungen sind
aber unzweifelhaft von Giuliano da San Gallo. Nun könnte man immer noch an-
nehmen, die Handschrift Giuliano’s bezeuge noch nicht, dass auch die Zeich-
nung, oder besser gesagt, der Entwurf von ihm sei, bewiese eben nicht der
Codex auf der Barberina, dass die Faqaden auf Grund der Studien römischer
Triumphbögen, selbst derjenigen in Orange und Ancona entstanden sind.
Neben der strengen Hochrenaissance Bramante’s, Peruzzi’s und Raffael’s
existirte also schon die Spätrenaissance in entwickelter Form, wenn freilich
nur auf dem Papier, und zwar in einer auffallend Michelangelesker Architektur
verwandten Weise, dass man eigentlich nur darüber streiten kann, welcher
von Beiden den Anderen beeinflusst hat. Zugegeben, Michelangelo hätte auf
den alten, ihm befreundeten Giuliano einigen Einfluss ausgeübt, was ja keines-
wegs unwahrscheinlich ist (im Jahre 1516 war Michelangelo 41 Jahre alt,
Giuliano, der im October desselben Jahres starb, zählte 71 Jahre), so scheint
mir doch vorerst die Annahme gerechtfertigter, Giuliano sei früher Michel-
angelo’s Architektur!ehrer gewesen. — Giuliano da San Gallo hat wohl bei
seinen Faqadenentwürfen zu San Lorenzo im Auge gehabt, seinem Freunde
die reichste und vielseitigste Thätigkeit als Bildhauer zu sichern, falls er selbst
bei der Goncurrenz als Sieger hervorginge, denn dem plastischen Element ist
in diesen Plänen so sehr Rechnung getragen, ja der eine Entwurf ist sozusagen
nur ein architektonischer Rahmen unzähliger Reliefs, zugleich ein architek-
tonisches Gerüst, um vielen Einzelfiguren und Figurengruppen die passenden
Stellen zu bieten, dass man glauben könnte, der Entwurf stamme nicht von
San Gallo, sondern vielmehr von Michelangelo.
Zeichnung und Composition dieses Blattes stimmen zu sehr mit den
anderen fünf Entwürfen San Gallo’s überein, als dass eine solche Annahme
Berechtigung hätte; Pini und Milanesi wäre auch wohl schwerlich bei der
Edition des Vasari die Urheberschaft einer Zeichnung Michelangelo’s entgangen,
sie melden aber nichts dem Aehnliches. Vielleicht finden diese Vermuthungen
von anderer Seite ihre Bestätigung oder Widerlegung, was man immerhin
willkommen heissen müsste. Rudolf Redtenbacher.
 
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