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Repertorium für Kunstwissenschaft — 2.1879

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Litteraturbericht. Theorie und Technik der Kunst. Kunstunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.61799#0265

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Litteraturbericht.
Theorie und Technik der Kunst. Kunstunterricht.
Das Skelet eines Mannes in statischen und mechanischen Ver-
hältnissen nach graphischen Aufrissen, in halber Grösse von
Dr. Joh. Christian Gustav Lucae und Hermann Junker. — Frankfurt a. M.
bei Christian Winter. 1876. f°.
Es bietet wohl kein Gegenstand in der Natur dem grübelnden Geiste
solchen Reiz, nach Gesetzen zu suchen, als das erhabenste aller Räthsel der
Schöpfung, der Mensch selbst. Philosophen und Anatomen seciren und
analysiren seine Wesenheit nach allen Richtungen, um Systeme als Fundamente
der Wahrheit festzustellen, und zu ihnen gesellt sich auch das aus der Er-
scheinung schöpfende Auge des Künstlers, um aus dem Nothwendigen und
Zweckmässigen Gesetze des Schönen abzuleiten.
Die relativen Mafse des menschlichen Körpers nach einem bestimmten
Canon zu fixiren, war schon den ältesten Kunstvölkern Redürfniss. Schon die
ägyptischen Rildner hatten, wie uns Herodot berichtet, für die Darstellung der
menschlichen Gestalten ein ganz mathematisch durchgeführtes Schema, welchem
die Gesammtlänge der Figur als Masseinheit zu Grunde lag. Rei den Grie-
chen hat neben den attischen Meistern namentlich der Hauptrepräsentant der
argivischen Schule, der Sikyoner Polyklet, die Schönheit des menschlichen
Körpers als Ausgangs- und Zielpunkt seines Schaffens betrachtet und die
menschliche Gestalt in ihrer vollkommensten Norm und in ihrer reinsten
Verklärung darzustellen gestrebt. Seine Ideal-Proportionen sind das Resultat
der Abstraction aus sinnlich Wahrgenommenem und Beobachtetem. Das schrift-
liche Denkmal seiner Lehre, von welchem uns Galenus berichtet, enthielt die
Verhältnisse der einzelnen Körpertheile in bestimmtem Zahlenausdruck und
wurde von ihm in seinem Doryphoros zuerst verkörpert.
Als sich die Kunst in späterer Zeit mehr dem Realismus zuwandte, be-
schäftigten sich die Künstler wohl weniger mit Ideal-Proportionen, dafür aber
entwickelten sich in ganz bestimmten Schemen die Typen der Individualität.
Lysippos mag hierin in seinen Heraklesdarstellungen das Originellste, wenn
gleich nicht anatomisch Correcteste geschaffen haben.
Mit der Entwicklung der neueren Kunst, vornehmlich von der Zeit an,
als die Anatomie zu einer selbständigen Wissenschaft geworden war, wird
 
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