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Repertorium für Kunstwissenschaft — 25.1902

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Jacobsen, Emil: Italienische Gemälde im Louvre, [2]: kritische Notizen zu den im neuesten Katalog angeführten Bildern, sowie zu den vielen neuen Erwerbungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.61695#0298

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284

Emil Jacobsen:

zugehören. Das Bildniss ist „Ticianus . F“ bezeichnet. Es dürfte ein
ziemlich frühes Werk sein, damit stimmt auch die Form der Signatur; in
seiner späteren Zeit schreibt er gewöhnlich „Titianus“.64)
Lionardo da Vinci. 458. Jugendlicher Johannes der Täufer.
Ueber das Bild sind die Meinungen getheilt. Die, welche in dem Bilde
einen echten Lionardo erkennen, möchten es mit dem Gemälde identi-
ficiren, welches Cardinal Lodovico von Aragonien auf seiner Reise, die
er im Mai 1517 von Ferrara aus nach Deutschland, den Niederlanden und
Frankreich unternahm, bei Gelegenheit eines Besuches in Amboise im
Atelier des Meisters sah. Da wurden ihm nämlich drei Gemälde vorge-
zeigt: „uno di certa donna fiorentina facta di naturale ad istantia del
quondam Magnifico Juliano de Medici. L’altro di San Joanne Baptista
giovane et uno de la Madonna et del figliolo ehe stan poste in gremmo
di Sancte Anna, tucti perfectissimi.“65) Paul Müller-Walde hat nachzu-
weisen versucht, dass es von diesem Johannes zwei Redactionen gegeben
haben muss, nämlich äusser dieser eine frühere, von welcher eine Copie
von der Hand eines Schülers (Bleistift) auf einem Blatt mit Federzeich-
nungen von Lionardo, die auf die Schlacht von Anghiari und auf das
Postament des geplanten Trivulzio-Grabmal Bezug haben, also 1503 oder
64) Man hat das Gesicht des jungen Mannes, dessen Züge voll zurück-
gehaltenen Feuers sind, mit dem durchgeistigten Antlitz des am Spinett sitzenden
jungen Mannes im „Concerte“ der Pittigalerie verglichen. Ja, sie gleichen einander,
wie die entgegengesetzen Pole vom Geiste der Renaissance einander gleichen
können. Die Frage, ob Giorgione, ob Tizian, ist für das berühmte Pittibild
wieder brennend geworden, nachdem der angesehene englische Kritiker Herbert
Cook auf die ältere Benennung Giorgione zurückgegriffen hat (Giorgione, London
1900). Es scheint mir jedoch, wenn ich auf diese wichtige Frage so beiläufig
eingehen darf, dass eine Erwägung, die nicht die äussere Erscheinung, sondern
das Innere des Bildes betrifft, für Tizian, und zwar entscheidend spricht. Denn
nur Tizian besitzt diesen dramatischen Zug des Temperaments, welcher den er-
regten Ausdruck bedingt und nicht selten strömt eine mächtige Leidenschaftlich-
keit durch seine Werke. Nicht Giorgione. Es findet sich in dessen ganzer Pro-
duction nichts, was sich mit dem geistig erregten Antlitz des jungen, am Spinett
sitzenden Mannes vergleichen lässt. Selbst bei den leidenschaftlichen Vorgängen
verlieren die Gestalten Giorgione’s nicht ihre edle Ruhe. Im Gegensatz zu Tizian
verharrt das Feuer, welches sich in giorgionesken Persönlichkeiten birgt, in stiller
Gluth und schlägt nie in Flammen aus.
So viel ich weiss, ist nicht bemerkt worden, auch nicht in den neuesten
Monographieen über Giorgione und Tizian, dass das Bild seiner Zeit vergrössert
worden ist, adern oben ein Stück, ungefähr so gross wie ein Fünftel des ganzen
Bildes (mit dem obersten Theil vom Federbusche des jungen Mannes links) zu-
gefügt worden ist und zwar, wie mir scheint, von fremder Hand. Dasselbe gilt
von dem bekannten Frühwerk des Bonifazio di Pitati in der Pittigalerie (Nr. 84).
Auch hier ist von fremder Hand ein Stück oben angesetzt, welches ebenfalls ein
Fünftel des ganzen Bildes beträgt.
65) Reisebeschreibung von Don Antonio de Beatis. Siehe Uzielle: Ricerche
intorno a Lionardo da Vinci II. 460.
 
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