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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 7
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Rüttenauer, Benno: Kölner Ausstellung 1906: die Sonderausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0028

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Gerhard Janssen. Frommes Mütterlein.
fertigen Vorbiider durchblicken, als daß er
seiber heute noch vorbildlich wirken könnte.
Daran ändert auch sein manchmal geradezu
verführerisches Koiorit wenig. Die Koilektion
reizt einen auch nicht, einzelne Werke besonders
hervorzuheben, weii — sie sind eben aiie
reizend — es immer doch fast dieseibe Note
ist in der Musik wie im Text, im Kolorit wie
im Motiv.
Wir neigen freilich heute zur Ungerechtig-
keit gegen einen Künstler wie Bochmann. Wo
wir ein Abgeschlossenes, Abgeklärtes, ganz und
gar Fertiges verspüren — und Bochmann ist
eben sehr abgeklärt, sehr fertig — da fehlt uns
gleich der rechte Anreiz. Wir geben dem
Problematischen den Vorzug vor dem Dehnitiven,
dem Skizzenhaften vor dem Fertiggemachten,
dem Versprechenden und gar dem Vielver-
sprechenden mit seinen unendlichen Möglich-
keiten den Vorzug vor der soliden Barzahlung,
und das Sprichwort vom Sperling in der
Hand und der Taube auf dem Dach, wir
haben es so ziemlich ins Gegenteil verkehrt.
Wir haben vor allem eine Vorliebe fürs
Revolutionäre. Wir sind sicher nicht ganz
frei von einem gewissen Kunstgigerltum. Das
Wort vieux jeu sprechen wir mit unendlicher
Geringschätzung aus.
Niemand ist ja ganz im Recht; es wäre kein
Wunder, wenn auch wirs nicht wären.
* *
*

Denn es ist klar, daß wir Vieles als „modern"
emphnden, wovon wir genau wissen, daß es
nicht „neu" ist. Modern ist eben für uns,
was unserem Geschmack entspricht — und
nichts ist bekanntlich wandelbarer als der Ge-
schmack.
Diese Tatsache ist Grund genug, daß Kunst-
urteile nie eine absolute Gültigkeit haben, nie
ewig bestehende Urteile sein können. Man
hört oft darüber jammern, daß sich Kunsturteile
so viel widegsprechen, es ist da gar nichts zu
jammern. Eine mathematische Gleichung muß
natürlich heute aufs Haar dieselbe Lösung
hnden, wie vor tausend Jahren und vor fünf-
tausend Jahren. Aber die Kunst ist nicht
so einfach — und unpersönlich wie eine
mathematische Gleichung, und ein pereant
allen, die sich hier als Mathematiker gebärden
möchten ...
Gerhard Janssen wirkt ganz eminent modern.
Wir haben auch mit Recht höchste Bewunderung
für seine phänomenale Kunst. Kraft imponiert
uns heute mehr als Stil, wir verstehen sie
besser; und in Gerhard Janssen sehen wir eine
geradezu erstaunliche Kraft, und besonders
eine jugendliche Kraft, eine vorwärtsstürmende,
und wir lassen uns gern von ihr hinreißen
und denken nicht lang darüber nach, daß
diese junge Kraft sich doch wohl nicht so
äußern würde wie sie es tut, wenn der alte
Franz Hals es ihr nicht vorgemacht hätte.
Das breite Lachen seines Selbstbildnisses ist
wie ein Symbol seiner ganzen Kunst. Auch
von Franz Hals gibt es ein solches Symbol,
die „Zigeunerin" im Louvre — aber da sieht
man auch gleich den ungeheuren Unterschied
und Abstand und um wieviel jünger Gerhard
Janssen ist, und nicht nur der Zeit nach, als
Franz Hals. Dieser gehörte einer Zeit an, wo
die Kunst zwar nicht alt, aber sehr reif war,
Janssen einer andern, wo sie fast allzu jung
ist. Das muß notwendig ein sehr verschiedenes
Resultat geben, und wir freuen uns dessen auf-
richtig. Wir nehmen auch keinen Augenblick
Anstand zu bekennen, daß uns Janssen wich-
tiger ist als Franz Hals; wir würden seine
Kunst nicht verdienen, wenn wir nicht so emp-
fänden.
Nicht so rund als Persönlichkeit wie Gerhard
Janssen wirken Wilhelm Schreuer und Robert
v. Haug. Beide bieten ungleichere Werte, beide
sitzen nicht ganz so sicher in ihrem Sattel.
Aber tüchtige junge Pferde — wenn auch
nicht reines VoIIblut — reiten sie ebenfaMs.
Wer Freude am Temperament hat, kommt
bei ihnen durchaus auf seine Rechnung. Wenn
sie manchmal das Tempo übertreiben auf
Kosten der Haltung und der Grazie, so mag
das Tempo der ganzen Zeit dafür verantwort-
lich sein.
* *
*

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