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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 7
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Rüttenauer, Benno: Weltgeschichte in Hinterwinkel, 4: aus den Denkwürdigkeiten eines schwäbischen Ziegenhirtes
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0052

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WELTGESCHICHTE IN HINTERWINKEL.

wäre ja nur ein Schneider; so gottserbärmiglich
schrie ichs, daß sogar die Preußen lachen
mußten und mir das Leben schenkten.
Von dem ietzten Vorgange konnte der Hann-
peter eigentiich nichts gehört haben; aber er
erzählte ihn doch. Gleich dem Dichter wußte er
auch solche Einzeiheiten seiner Geschichte, die
er der Natur der Sache nach nicht wissen durfte.
Der Hannpeter war eben in der Tat ein
Dichter. Er wirkte ais soicher. Wie er er-
zähtte und dramatisch dazu agierte, giaubte ihm
jeder aufs Wort.
Mein Niedergeschriebenes gibt davon keinen
Begriff, es ist weit entfernt von der Anschau-
lichkeit und Lebendigkeit, die der Hannpeter
seiner Darstellung zu geben wußte.
Der Hannpeter war ein großer Erzähler.
Und er war ein großer Sprachvirtuos. Er be-
herrschte aufs vollkommenste seine Sprache,
seine Mundart. Und er verdarb sie nicht durch
fremde, d. h. durch schriftdeutsche Wendungen.
Auch verfügte er über ihren ganzen Wortreich-
tum und wußte davon einen hohen Begriff zu
geben. Am meisten aber iiebte er, wie ein
großer Schriftsteiier, diejenigen Wörter, die
nicht jeder im Munde führte, die ihm sozusagen
aliein gehörten. Er bevorzugte sie um so mehr,
je unähnlicher sie dem Schriftdeutsch, je un-
geschlachter, je nackter im gewissen Sinne, je
ungewaschner sie waren. Er brachte soiche
Wörter auf eine Art hervor, ais ob er sie im
Augenbiick erst selber gemacht habe.
Ein soiches Redetaient wurde in Hinter-
winkei nicht unterschätzt. So ein Dorferzähler
hat überhaupt meist ein dankbareres Pubiikum
ais die Herren Schriftsteiier — abgesehen davon,
daß er aiierdings auch meistens mehr Talent
hat. Die sogenannte gebiidete Dame, die aus
der Leihbibiiothek ihren Roman iiest, kümmert
sich kaum um die Kunst der Darsteiiung. Sie
iiest ihre Romane des Stoffs haiber. Die Zu-
hörer des Hannpeter aber bewunderten seine
Kunst. Sie genossen diese Kunst in ihren
intimsten Feinheiten.
Und der Hannpeter hatte immer Zuhörer.
Stili und einsilbig habe ich ihn nur einmai
im Leben gesehen: in der Scheune zu Tauber-
bischofsheim.
FÜNFTES KAPITEL.
Ein Erntetag und sein Abschluss.
Die nächste Zeit verging mir sehr angenehm.
Ich iebte in dem Hochgefühl meiner großen
Eriebnisse. Ich sonnte mich in dem Nimbus,
den die Fama um mich wob.
Leider solite ich baid erfahren, daß ein
Nimbüs aus sehr wenig haitbarem Stoff gewoben
sein kann.
Die Ernte war in voiiem Gange, die Weit-
geschichte stand stiii, wenigstens in Hinter-
winkei. Die Poiitik schwieg.

Die Leute wolltcn noch ebensowenig preu-
ßisch werden, wie vor sechs Wochen; aber
sie wiederhoiten es nicht mehr so oft. Sie
iebten wegen dieser Sache zwar in der größten
Ungewißheit, die sie sehr ängstigte, trotz ihrer
unerschütteriichen Hoffnung auf Napoieons Ein-
schreiten, dem man als Preis dafür ,,das Strumpf-
bändeiiändie da drübe", nämlich das Groß-
herzogtum Baden, gern gegönnt hätte; die Ernte
aber konnte man deshaib nicht im Stich iassen.
Man war ohnehin spät daran. Auch trat un-
günstige Witterung ein, so daß man die da-
zwischenfailenden sonnigen Tage um so Heißiger
ausnutzen mußte. Da gab es keinen Arm in
Hinterwinkel, der nicht in Anspruch genommen
worden wäre.
Sogar meiner schwachen Kraft wurde nach-
gefragt. Der Füiientoni wollte Dinkel heim-
fahren, und ich sollte beim Garbenbinden die
Strohbänder legen. Das war eine Tätigkeit, die
man sonst Kindern übertrug, wenn sie zur Hand
waren. Als ein Kind wurde ich betrachtet,
trotz meines neugebacknen Ruhms.
Für meine Arbeit sollte ich das Essen be-
kommen und einen Batzen als Tagelohn, näm-
lich vier Kreuzer.
Bei dem Füllentoni mußte man sich tüchtig
rühren und Hink und Heißig zugreifen.
Ich glaubte aber mein Geschäft in aller
Behaglichkeit verrichten zu können. Gemütlich
schleppte ich meinen Strohseilerbund hinter
mir her, zog Strohseil um Strohseil gemütlich
heraus und breitete die Bänder über den Stoppel-
boden, eins ans andere in fortlaufender Linie,
immer Strohband an Strohband. Zwei Mädchen
rafften mit ihren Sicheln das Getreide zusammen
und häuften es, je drei Arme voll, quer über
die vorgelegten Bänder. Der Bauer kam dahinter
her und band. Er nahm die Enden der Stroh-
seile vom Boden, er drehte zuerst das eine und
klemmte es zwischen die Kniee; dann drehte
er das andere, dann zog er beide übers Kreuz
an, indem er das Getreide mit dem Knie fest-
drückte, und er wickelte endlich die beiden
Enden um sich selbst und klemmte sie mit
einem hölzernen Nagel unter das angezogene Seil.
So band er Garbe um Garbe, so schnell die
Mägde zusammenrafften.
Dasselbe geschah in einiger Entfernung, wo
andere Mägde zutrugen und der Knecht die
Garben band. Dort legte der neunjährige Sohn
des FüIIentoni die Strohseile.
An diesem jungen Füllentoni zappelte alles.
Jedesmal, wenn er ein Seil legte, bückte er sich
bis auf den Boden, um es schön ,,kerzengerade"
auszustrecken. Er tat das auf eine Art, als ob er
das Strohband dabei streicheln und liebkosen
wollte.
Ich verhielt mich viel kälter gegen die
störrigen Strohzöpfe. Das Bücken erachtete ich
für höchst überHüssig. Ich ergriff mein Seil
an dem einen Ende, warf mit einem zierlichen

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