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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 7
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Rüttenauer, Benno: Weltgeschichte in Hinterwinkel, 4: aus den Denkwürdigkeiten eines schwäbischen Ziegenhirtes
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Knorr, Theodor: "Japanismus" in alten deutschen Holzschnitten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0060

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WBLTGESCHICHTE IN HINTERWINKEL.

herein. Viel Voik, altes und junges, foigte
ihnen unter großem Jubei. In einem weiten
Viereck steliten sich die Truppen um die Kanzei.
Hinter ihnen füilte das Voik weithin den grünen
Plan. Niemals hatte Hinterwinkei so viei Men-
schen gesehen.
Da trat aus einem der aufgeschiagenen
Zeite eine hohe schwarze Gestalt hervor, ein
schwarzer vielfältiger Mantel walite bis auf
den Boden, das Haupt war von einer schwarzen
viereckigen Mütze bedeckt, ein großes schwarzes
Buch hieit er in den Händen, alies schwarz.
Nur auf der Brust unter dem Kinn hingen ihm
zwei schneeweiße Läppchen herunter. Und
ein bitter ernstes Gesicht machte er. Gravi-
tätisch stieg er die weichen Stufen zu seiner
Kanzel empor. Ein Kommandoruf, ein Trommel-
wirbel, und heiiige Stiiie herrschte.
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des
heiiigen Geistes, begann der Prediger. Ich
machte unwiilkürlich das Kreuzzeichen. Er
seiber vergaß es, wie ich im ersten Augenbiick
bei mir dachte. Aber langsamer, schöner, an-
dächtiger, unendlich viel feieriicher sprach er
die Worte als unser Pfarrer Bartheimayer.
Und noch salbungsvolier sprach er das Vater-
unser. Nie hatte ich das Gebet des Herrn in
so ergreifender Weise beten hören. Ein heiiiger
Schauer durchrieseite mich. Das Beten des
Pfarrers Barthelmayer war ein iumpiges Her-
unterieiern dagegen.
Nur eins kam mir komisch vor: daß der
Mann nicht Vater unser, sondern Unser Vater
sagte. Und lebhaft bedauerte ich, daß der, der
so schön betete, das „Gegrüßet seist du, Maria"
vergaß, das ich gern auch von ihm gehört
hätte, weii es mich fast noch schöner deuchte
als das Vaterunser.

Nach dem Gebet erschcü die Musik und
mit ihr lauter weithin haiiender Gesang. Dann
begann die Predigt.
Noch weiß ich den Anfang. Ich werde ihn
auch nie vergessen: „Meine Gedanken sind nicht
eure Gedanken, und meine Wege sind nicht
eure Wege, sondern so viel der Himmei höher
ist denn die Erde . . ."
Mehr hörte ich nicht.
Es geschah ein Krachen, es geschah ein
Aufschreien in der Luft und auf der Erde, ein
Gedränge, ein Tumult . . .
Der Hauptast des Weichseibaumes, auf dem
ich mit vier andern meinen Sitz erwählt hatte,
war geborsten und war samt seiner fünffachen
lebendigen Last über den Köpfen der dichP
gedrängten Voiksmasse zusammengebrochen. Es
dauerte eine Weiie, ehe der Prediger von neuem
beginnen konnte.
Über diesen Zwischenfail wurde viel ge-
lacht. Und noch heute wird er in Hinterwinkei
oft erzählt. Die vieifach verwirrenden und ver-
bitternden Ereignisse jenes Jahres, diese ersten
Stürme und Gewitterschauer des baid darauf
anbrechenden poiitischen Frühiings der deutschen
Nation, sie sind heute in Hinterwinkel so gut
wie vergessen. Wenn man ihrer noch gedenkt,
so geschieht es fast nur noch in Verbindung
mit der Geschichte des Weichselbaumes.
Auch das Andenken des Lienhard Reichen-
bühler ist tot wie er seiber; niemand weint
mehr um ihn.
Über den gebrochenen Weichseibaum aber
iacht man noch immer, man wird vieileicht
noch darüber lachen, wenn die Jahreszahl 1866
in den Gehirnen von Hinterwinkel so wenig
mehr vorhanden ist wie eine andere der Weit-
geschichte. (Scbiuss foigt.)


APANISMUS" IN^ALTEN DEUT-
SCHEN HOLZSCHNITTEN.
Von TH. KNORR.
In Zeiten, welche dazu neigen, aiie Er-
scheinungen auf dem Gebiete der Kunst rein-
iich gesondert in die verschiedensten Gefache
unter der beruhigenden Bezeichnung irgend
eines .... ismus unterzubringen, wird es nichts
verschiagen, den vergleichsweise noch jungen

Begriff des „Japanismus" auf manche Einzei-
heiten in Werken der aiten deutschen Holz-
schneidekunst anzuwenden. Die vorliegenden
Zeiien beabsichtigen keine eingehende Dar-
steüung dieses interessanten Gegenstandes,
sondern soüen sich damit begnügen, zunächst
nur einige Beobachtungen weiteren Kreisen be-
kannt zu machen, welche sich mir aus einem
seit mehreren Jahren gesammelten Material über
die Darstellungsweisen des Baumes in der
älteren Kunst, vorwiegend dem Holzschnitt zu


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