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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 10
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Croissant-Rust, Anna: Der Storch
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0203

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DER STORCH.

dicken Enten und zornigen Hühner aut den
Gast. Sie umkreisten ihn, sie steilten sich
in seinen Weg, sie versuchten ihn zu reizen —
der Storch bemerkte sie gar nicht. Er stand auf
einem Bein und sah zu dem Stückchen blauen
Himmels auf, über das dichte Rauchwolken
Hogen, und dachte an den Sommer und grüne
Wiesen und helle Bäche, an die weite Ebene
und seine Freiheit. — So war er denn hier
gefangen und mußte werden wie die andern!
Wirklich sein Geheder wurde schwarz und
rauh wie das ihre, seine schönen roten Füße
und sein langer roter Schnabel überzogen sich
mit einer dicken Kruste. Er ließ den Kopf
hängen und machte einen krummen Rücken
wie der Kater. Schön sah er nicht aus, der
Storch; die Leute blieben auch nicht mehr
stehen, eigentlich war kein so großer Unter-
schied zwischen ihm und den Enten und Gänsen!
Höher war er, ja höher schon, aber schmutzig
war er geworden wie sie auch. Nur die Kinder
blieben ihm treu, drückten die Köpfe gegen das
Gitter und schrieen ihm zu:
,,Storch, Storch, Schniebelschnabel,
mit der langen Heugabel
rupf ich dir a Federl aus,
mach ich mir a Betterl draus,
pfeif ich alle Morgen
wie die jungen Storchen."
Ging er aber auf sie zu, so stoben sie schreiend
auseinander, und er stelzte traurig wieder weiter.
Der ganze Geßügelhof lachte über sein närrisches
Gebaren. Warum stand er denn allein und
starrte nach dem Himmel? Warum wollte er
denn nicht ebenso friedlich in Schlamm und
Ruß ruhn und sich in dem kleinen runden
Wasserloch baden wie sie? Warum stieg er
denn unter ihnen herum, wie wenn er sie nicht
sähe, dieser Ritter von der traurigen Gestalt?
Hatte je einer solch entsetzliche Beine und
solch langen dünnen Schnabel gesehen?
Und die Enten sahen auf ihre breiten soliden
Füße und schnatterten mit dem dicken Schnabel
darauf los, denn das konnten sie sich leisten.
Ob er nur überhaupt reden konnte? Es hat
noch keiner einen Ton von ihm gehört. Und
die Enten und Hühner verfolgten den traurigen
Fremden so lange mit Hieben und Picken und
Schlägen mit den Schnäbeln, bis er eines Tages
zornig mit den großen Flügeln schlug und
laut zu klappern anßng. Zuerst erschraken sie
etwas vor seiner lauten mächtigen Art, dann
aber ßngen sie an darüber zu lachen. Er
konnte ja nicht einmal so hoch Hiegen wie die
Enten, und was er sagte, war solch pudel-
närrisches unverständliches Zeug, daß es schon
eine Beleidigung war, daß der Herr ihn über-
haupt unter sie zu setzen gewagt!
Der arme Storch probierte daraufhin nicht
mehr mit den Flügeln zu schlagen, und auch
das laute Klappern gewöhnte er sich ab, er

klapperte mehr innerlich, das war auch ein
guter Ausdruck seiner Sehnsucht. — Im Winter
hielt ihn der Herr mehr im Hause; es war
eine öde, schreckliche Zeit, aber der Storch
merkte, daß sein Fuß sich streckte und seine
Flügel wuchsen, und er wartete.
Eines Tages — laue Lüfte wehten und trugen
kräftigen Erdgeruch in die dumpfe Stadt —-
stand der Storch wieder mitten im Hofe unter
dem Federvieh, das ihn wie eine lebendige,
fortwährende Kränkung ansah. Und plötzlich,
wie ihm die Sonne so warm auf den Rücken
schien, ßng er an, seine Flügel zu schütteln,
breitete sie weit aus, und brausend ßog er über
das Gitter, die Dächer, hoch in den hellen
Himmel hinein, mit lautem fröhlichem Geklapper.
Das Federvolk sah ihm starr nach, zuletzt
stießen sie aber alle Seufzer der Erleichterung
aus, blinzelten sich an und legten sich eng
gedrängt in den Kot. Es war doch viel schöner,
wenn sie unter sich waren!
Die Kinder aber klatschten in die Hände
und riefen dem Fremdling jubelnd nach:
,,Storch, Storch, Schniebelschnabel,
mit der langen Heugabel
rupf ich dir a Federl aus,
mach ich mir a Betterl draus,
pfeif ich alle Morgen
wie die jungen Storchen."
Der Herr stand unter der Haustür, hielt die
Hand vor die Augen, und wie er ihn nur mehr
als kleinen Punkt weit draußen gewahrte, sagte
er wehmütig: ,,Schade, schade! Man hätte ihm
die Flügel mehr beschneiden sollen!"


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Hans Schroedter. Frühling. Radierung.
 
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