Abb. 6. Hermann Haller (1918). Fliehende (Bronze, 1 m hoch).
starrung ist die Form zu einem leisen Leben erwacht.
Noch kann man keinen Augenblick vergessen, daß dieses
Bronze und jenes Stein ist. Aber doch dringt bis weit
in die Berciche sii nlicher Tastempfindung die Rundheit
ein, werden Sensationen durchbluteten Fleisches und der
glatten Decke der Haut spürbar.
Jnimer noch hat die Figur die eine Schauseite, die
schön gegliederte Fassade, die das Jnteresse dieses heim-
lichen Architekten fast völlig für sich in Anspruch nimmt.
Und nun wird diese Eigentümlichkeit als die charak-
terisiische Begrenzung des Talents erkannt. Aus einem
Müssen, dessen Wurzeln bis tief in das Jnnerste des
Organismus reichen, formuliert der Künstler seine ersten
und letzten Forderungen an die Kunst. Wie diese Aus-
lese unter vielen Möglichkeiten geschieht, ist entscheidend
für alle Aeiten. So werden Stile und in unseren Aeiten
die Persönlichkeiten. Es ist nötig, sich zu beschränken
auf das, was man einzig und am besten kann. Die
Gewaltsamkeiten der aus allen Tiefen des Raumes ge-
staltenden Phantasie sind Sache des dramatischen Ta-
lents, sie gehen Rodin an. Haller ist Lyriker, und alles
kommt nun darauf an, daß man aus seiner Not eine
Tugend macht.
Der Künstler ist nicht immer glücklich, wenn er jene
Bewegung aufsucht, die keine Fassade hat, die von allen
Seiten gefühlt sein will, oder wenn nicht, dann ihr
Bestes verschweigen muß. Eine Tanzende hat keine
eigentliche Vorderansicht, auf die hin man komponieren
kann. Und wird jener Augenblick v rpaßt, der unter den
zeitlich sich folgenden Phasen der alle Form bestimmenden
Bewegung der einzig fruchtbare ist und in einer leben-
digen Erstarrung alles Nacheinander in ein Gleichzeitiges
bannt, so empfindet man stark das Unbehagen halber
Lösung.
Haller ist zu klug und klar, um nicht zu wissen, wo
seine Grenzen liegen. Niemals fühlt er sich wohler,
als wenn er ein Sitzen, Stehen, Schreiten in jene stille
Anmut rhythmisch gebundener Form umdeutet, wie sie
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starrung ist die Form zu einem leisen Leben erwacht.
Noch kann man keinen Augenblick vergessen, daß dieses
Bronze und jenes Stein ist. Aber doch dringt bis weit
in die Berciche sii nlicher Tastempfindung die Rundheit
ein, werden Sensationen durchbluteten Fleisches und der
glatten Decke der Haut spürbar.
Jnimer noch hat die Figur die eine Schauseite, die
schön gegliederte Fassade, die das Jnteresse dieses heim-
lichen Architekten fast völlig für sich in Anspruch nimmt.
Und nun wird diese Eigentümlichkeit als die charak-
terisiische Begrenzung des Talents erkannt. Aus einem
Müssen, dessen Wurzeln bis tief in das Jnnerste des
Organismus reichen, formuliert der Künstler seine ersten
und letzten Forderungen an die Kunst. Wie diese Aus-
lese unter vielen Möglichkeiten geschieht, ist entscheidend
für alle Aeiten. So werden Stile und in unseren Aeiten
die Persönlichkeiten. Es ist nötig, sich zu beschränken
auf das, was man einzig und am besten kann. Die
Gewaltsamkeiten der aus allen Tiefen des Raumes ge-
staltenden Phantasie sind Sache des dramatischen Ta-
lents, sie gehen Rodin an. Haller ist Lyriker, und alles
kommt nun darauf an, daß man aus seiner Not eine
Tugend macht.
Der Künstler ist nicht immer glücklich, wenn er jene
Bewegung aufsucht, die keine Fassade hat, die von allen
Seiten gefühlt sein will, oder wenn nicht, dann ihr
Bestes verschweigen muß. Eine Tanzende hat keine
eigentliche Vorderansicht, auf die hin man komponieren
kann. Und wird jener Augenblick v rpaßt, der unter den
zeitlich sich folgenden Phasen der alle Form bestimmenden
Bewegung der einzig fruchtbare ist und in einer leben-
digen Erstarrung alles Nacheinander in ein Gleichzeitiges
bannt, so empfindet man stark das Unbehagen halber
Lösung.
Haller ist zu klug und klar, um nicht zu wissen, wo
seine Grenzen liegen. Niemals fühlt er sich wohler,
als wenn er ein Sitzen, Stehen, Schreiten in jene stille
Anmut rhythmisch gebundener Form umdeutet, wie sie
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