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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 1
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Schmid, Heinrich Alfred: Konrad Witz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0032

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Konrad WiH.

dem Gebiete der Wandmalerei, ferner durch die Leistun-
gen französischer, hauptsachlich aber niederländischer
Buchmaler, die im Dienste französischer Großen standen.
Ahnliches wie bei den Brüdern van Eyck sehen wir sich
gleichzeitig auch in Italien vollziehen in den Wandbildern
des Masaccio; aber der Norden ging jetzt voran; seden-
falls vollzog sich die Neuerung hier viel entschiedener und
gründlicher und die Werke der Niederlander erregten
denn auch im Süden damals überall das größte Er-
staunen und die größte Bewunderung. Erst viel spater,
eigentlich erst mit Lionardo, neigte sich das Prinzipat
in der Kunst wieder wie zu Giottos Aeiten den Jtalie-
nern zu.

Was waren nun die Neuerungen der van Eyck?
Einen gewissen Grad von plastischer Darstellung auf
ebener Fläche durch Licht und Schatten und einen ge-
wussen Grad von perspektivischer Darstellung hat es im
Mittelalter immer gegeben; nie sind die großen Errungen-
schaften der Antike ganz verloren gegangen. Ebenso-
wenig wie das Fliegen ist auch die plastisch räumliche
Darstellung von einem Einzelnen erfunden oder wieder-
erfunden worden. Die Erfindung ist auch bis heute noch
nicht abgeschlossen, obwwhl auf dem Gebiete der Linear-
perspektive seit dem 18. Jahrhundert erhebliche Neue-
rungen wohl kaum noch möglich sein werden. Nur die
entscheidendste Tat, nur jener kleine aber wichtigste Fort-
schritt, der bei jeder großen Neuerung den letzten Auf-
schlag gibt, ist zwischen 1400 und 1420 etwa gemacht
worden. Das Entscheidende war,die Menschen und Dinge
nun durch Licht und Schatten so darzustellen, daß sie
vollrund würken und sich vom Hintergrunde loszutrennen
scheinen. Aum „Körperschatten", d. h. zur Modellierung
durch dunklere und hellere Tone innerhalb der Umrisse,
kommt nun der „Schlagschatten". Es kommen innerhalb
der Figur zum Schatten und Halbschatten die Refler-
lichter, die zur Lösung der Gestalt vom Grunde neben
dein Schlagschatten am meisten beitragen. Aur Dar-
stellung der Menschen, Tiere, Geräte, Bauten konnnt
die Darstellung des Raumes durch Licht und Schatten,
dann durch die Perspektive der Linien und Farben, des
Raumes um seiner selbst willen, und zur Darstellung
der Dinge und des Raumes kommt die Darstellung
des Lichtes und der Dunkelheit um ihrer selbst willen.
Von jetzt ab wird der Schauplatz nicht mehr bloß
angedeutet wüe auf der Shakespeareschen Bühne. Es
würd mit dem Streben, eine Raumillusion zu bewürken,
Ernst gemacht; es beginnt die impressionistische Dar-
stellung; die Scbilderung des Raumes und des Lichtes
würd ebenso wücbtig wüe die Schilderung der Mcnschen
und der Dinge.

Es ist klar, daß solche Neuerungen nicht in Unwiß-
zeichnungen, leicht kolorierten Miniaturen oder Vasen-
bildern sich entwückeln konnten,und es ist wahrscheinlich,
daß der wüchtigste Schritt, unterstützt durch die sogenannte
Erfindung der Ölmalerei, auf Tafelgemalden ge-
macbt ivurde, obwohl wür heute die Fortschritte am
ehesten noch in der Miniaturmalerei verfolgen können.
Es ist ferner wahrscheinlich, daß der entscheidende Schritt
durch die Anregung, die die Tafelmalerei bot, gemacht
worden ist. Am Altare befanden lich bemalte Voll-
figuren und Flachreliefs neben Gemälden; das mußte

zur Verstärkung der Raumillusion auf den ebenen Tafeln
anreizen. Die Skulptur war auch sicher wahrend des
ganzen 15. Iahrhunderts ein dauernder Anreiz für die
deutschen Maler, im Streben nach räumlich plastischer
Wirkung nicht nachzulassen und sich die Erfindung völlig
anzueignen. Konrad Witz, Michel Pacher, Schongauer
und Dürer sind zugleich Maler und Plastiker gewesen
so gut wüe Verrocchio und Leonardo. Witz und Pacher
waren Bildschnitzer, Dürer und Schongauer gingen aus
einer Goldschmiedwerkstatt hervor, das bedeutete aber
damals, daß sie Plastiker in Edelmetall gewesen waren.
Nicht nur die Verbindung mit der Plastik, sondern auch
die Erfindung eines neuen Malmittels kann von aus-
schlaggebender Bedeutung gewesen sein, wüe dies die alte
Literatur, die von Künstlern geschrieben ist, berichtet.
Ein neues Malmittel konnle zur Verstärkung der räum-
lich plastischen Wirkung beitragen, wenn durch dasselbe
die Farben einerseits tiefer, anderseits heller und leuch-
tender würkten, oder auch bestimmter aufgetragen werden
konnten und schon im Augenblicke des Auftrags den
Tonwert zeigten, den sie behalten sollten; denn das
alles ist entscheidend für eine Perspektive der Farben
und durch diese haben sich die van Eyck tatsächlich aus-
gezeichnet.

Die neue illusionistische Malerei stellt alle Verhält-
nisse und Dinge falsch dar — die wagerechte Linie schief,
das Quadrat mit ungleichen Seiten und Winkeln, den
roten Rock vielleicht blaurot —, damit das Gesamtbild
und alle Verhältnisse und Dinge richtig wirken. Das
war eine Tat, die wohl höhere Denkoperationen voraus-
setzte als die Erfindung eines neuen Malmittels. Der
naive Mensch glaubt die Dinge so »vahrzunehmen, wüe
er sie aus den Gesichtseindrücken erschließt. Hier aber
war ein Schritt zu Kants „Kritik der reinen Vernunft"
getan, denn die neue Art Malerei setzte voraus, daß ihr
Erfinder sich völlig klar war über den Unterschied zwüschen
unseren Wahrnehmungen und den daraus abgeleiteten
Vorstellungen, d. h. den unwüllkürlichen Schlüssen, die
wür aus den Wahrnehmungen ziehen. Aber die Er-
findung der Ölmalerei, genauer einer Öltempera, war
wohl der Propeller, der das Fliegen erlaubte. Wahr-
scheinlich hat sie erst den Flug der Gedanken ermöglicht,
der zur Jllusionsmalerei geführt hat. Freilich, wenn
die Welt die Erfindung der Olmalerei als die eigentliche
Ruhmestat der Brüder van Eyck bezeichnet, so geschieht
das wohl nur, weil es eben der leichter verständliche
Teil der großen Neuerung ist. Aber es trifft vielleicht
doch etwas vom Kern der Sache.

Konrad Witz ist der bedeutendste Träger des neuen
Stils in Süddeutschland, den wir kennen, und einer der
bedeutendsten, neben dem Meister Francke in Hamburg
vielleicht der bedeutendste seiner Aeit. Er und seine
schöne tugendhafte Frau sind auch die Helden einer
gereimten Novelle, die sich in einer Karlsruher Papier-
handschrift aus der zweiten Hälfte des 15. Iabrhunderts
erhalten hat und auf die Helmut Th. Bossert hingewüesen
hat. Wir erfabren daraus, daß er eine größere Werk-
statt mit Gesellen hatte,die nach seinen Regeln arbeiteten.
Er war geboren um 1395/8 zu Konstanz als Sohn eirws
Malers Hans Witz, der 1402 in den Diensten des Bischofs
von Nantes, 1424/5 in denen des Herzogs von Burgund,

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