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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 1
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Aus Wilhelm Schäfer: Lebensabriß
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0042

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Aus Wilhelm Schäfer^ Lebensabriß.

hatten die Sterne vergessen. Wir waren nicht mehr im
Schicksal, sondern im Austand; wir nahmen die Worte
unserer Sprache in den Mund und wußten nicht mehr,
daß sie unsere Heiligtümer sind. Wir waren Deutsche aus
Aufall, weil wir unser Schicksal vergaßen, weil wir in
einem andern Reich befangen waren, als in jenem, das
unsere Sprache umgreift: wir sagten Goethe, ohne das
sein zu wollen, was er vorbildete; wir hörten Bach, ohne
den Kreislauf zu spüren, aus dem sein Wasser rauscht;
wir trugen den Namen unseres Volkes, ohne zu wissen,
daß wir beide dieses Volk sind, wir beide, du der Leser
und ich. Der Kalender sagt mir, daß ich am 20. Januar
fünfzig Jahre alt werde; aber der Tag gab nur den An-
laß zum Geständnis, nicht zur Besinnung. Seitdem ich
mir im ersten Kriegswinter die Beendigung meines
Pestalozzibuches abrang, habe ich unter ihrer Furcht
und Hoffnung gestanden. Jch sah in mir mein Volk
in ein Schicksal hineingerissen, dessen Sinn es nicht ver-
stand, weil es sich selber entfremdet war. Die da hinaus-
zogen, hatten ihre Fahne, das Vaterland stand darauf
geschrieben; es war auch unsere Fahne, aber die Farben
waren verblichen. Wir wohnten im Land unserer Vater
als leichtfertige Erben, und wenig von dem war im Be-
wußtsein geblieben, was unser Dasein seit der Völker-
wanderung zu einer schmerz- und wunderreichen Odyssee
gemacht hatte; wir lasen unsere Geschichte, aber das
Gefühl ihres Schicksals war nicht mehr in uns, und
mehr wußten wir von der Sendung des jüdischen Volkes
als von unserer eigenen, weil uns mit dem Christentum
das Gewand einer fremden Herkunft angetan wurde.
Dort, bei den Juden von Abraham bis zu den Propheten,
war Gott; bei uns war Abenteuer, durch nichts geheiligt
als durch das fremde Kreuz. Und unsere schmerzensreichste
Tat, die Eroberung des Evangeliums als seelischen Be-
sitz, war kaum mehr als durch den schlecht vernarbten
Riß in unserm Dasein lebendig. Hier in den Dienst zu
treten, das Schicksal der deutschen Seele in seiner Odyssee
Wort werden zu lassen, schien meinem gedemütigten
Gefühl der einzig mögliche Anfang einer neuen Arbeit,
nachdem es mit allem andern abgeschlossen hatte.

Jch weiß es nur zu gut, was ich mir als Berufung aus-
legte in diesen schweren Jahren, es könnte mehr sein,
als meiner Begabung erreichbar ist; aber wird dies nicht
unser aller Schicksal sein, wenn wir an den Wiederaufbau
unseres Daseins gehen? Jch habe mirs nicht ausgedacht,
es ist im Sturmwind auf mich gefallen, was es für das
Volk der Juden bedeutet hat, in den Büchern — die wir
Christen das Alte Testament nennen — neben seiner
religiösen Offenbarung und dem Nationalschatz seiner
Dichtung auch noch eine wortgewordene Geschichte
seiner Herkunft zu besitzen. Was helfen uns Deutschen
alle Göttersagen, Marchen rind Lieder, nachdem das
Christentum ihre Gesialten in die Hölle gejagt hat, was'
soll uns das Mittelalter, nacbdem die Reformation den
stolzen Kirchenbau seiner Gläubigkeit zertrümmerte,
und was blieb uns von dieser Reformation selber, nach-
dem ein neues Kirchentum den Protestantengeist ab-
geschnürt hat, so daß wir mit unserer modernen Bildung
ohne Herkunft sind und eigentlich nur noch im Griechen-
tum ein Aiel der Kultur finden? Awischen diesen Ringen
liegt unser Schicksal wie begraben und doch ist die Volks-

feele noch lebendig, die es durchlebte: nur daß sie das
Evangelium ihrer Berufung nicht kennt. Ob hier eine
Aufgabe für den Dichter liegt, wird nur der fragen
können, dem die epischen Absichten in der Novelle, im
Roman und in der Erzählung beschränkt bleiben und der
das Epos außer Acht läßt, dessen Stoff nicht der einzelne
Held, sondern das Völkergeschick ist, wie es uns das ein-
zige Epos der Deutschen, aber auch das großartigste der
neuen Welt, die Nibelungen, bezeugen. Wie das deutsche
Volk mit der Völkerwanderung eintrat in das Licht der
Geschichte, wie es seine Seele im Mittelalter am Christen-
tum anschwellen ließ zu einer Jnbrunst sondergleichen,
wie sein Gewissen erwachte in der Reformation und den
Kampf auskämpfte, auf dem der moderne Menschengeist
steht, wie es sich selber, dank seiner Fürsten, an die Sonne
von Versailles verlor, bis es in den Dichtern und Denkern
um 1800 endlich wieder für sein eigenes Dasein erwachte:
das ist eine Odyssee im großen Ausmaß, wenn aus dem
Ballast fürsten-historischer Vorgänge das Schicksal der
suchenden leidenden Volksseele aufgedeckt und gestaltet
wird. So war es gemeint, als ich im Oktoberheft der
Deutschen Rundschau mit einem Fragment aus der
„Geschichte der deutschen Seele" ans Licht zu kommen
wagte.

Ein Mann von fünfzig Jahren ist kein großer Lebens-
verwalter mehr; aber was hätte dem Jüngling ein
solcher Plan genützt? Ja, nun will ich etwas sagen, das
überheblich klingt und es doch nicht ist: nun ich mit meinem
angefangenen Werke dastehe, scheint mir alles sinnvoll
zu ihm gewacbsen, von der ersten Anekdote bis zum
„Lebenstag". Auch, daß ich meiner Sprache eine rhyth-
mische Aucht antat, die oft genug an den Vers rührte;
denn wer könnte denken, jemals mit erzählender Prosa
an einen solchen Vorwurf zu gehen! Freilich, nichts
liegt meiner Neigung ferner als ein Strophenbau, der
sogar von der Lyrik, sowie sie über das Lied hinaus geht,
als Fessel empfunden wird. Die Luthersche Bibel kann
jeden überzeugen, daß die sogenannte Prosa sich ohne
Vers und Reim in eine Höhe zu erheben vermag, die sie
zur Monumentalität befähigt; jedenfalls besser als jenes
Geklapper von vierfüßigen Trochäen oder fünffüßigen
Jamben, wie es die vermeintlichen Epen der Trom-
peterzeit auf ihrem dürren Leib trugen, und nicht ge-
ringer als die Strophe, in der uns die Nibelungen über-
liefert wurden.

Wenn von meinem Luftschloß nicht schon eine be-
scheidene Kuppel unter Dach wäre, könnte und dürfte
ich wohl kaum ein Wort davon sagen. So gehört es in
den Rechenschaftsbericht meines fünfzigjährigen Lebens,
wie er mir abverlangt wurde. Wenn jeder mir soviel für
ein solches Unterfangen zutraut, wie er mich als Jn-
strument nach meinen bisherigen Arbeiten schätzt, habe
ich mein Recht. Denn ob es danach als Überhebung
oder Torheit gelten muß, dessen ich mich bekenne: was
in mir sucht und dichtet, hat mich — weitab von Ehrgeiz
und Ruhmsucht — zwangsweise in diese Entscheidung
gebracht wo ich nicht mehr verzichten kann, ohne vor
meinem Gewissen fahnenflüchtig zu sein. Und irgendwo
in solchen Dingen ist selbst ein Narr, der Großes will,
rühmlicher vor Gott und den Menschen, als ein Kluger,
der bänglich ausweicht.

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