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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 2
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Raffauf, Irmgard: Um Heliant
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0113

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Brautgesang.

Spende dich, du Tiefersehnter,
schenke mir den Wein des Lebens.

Du spende dich dem All.

Sieh einen Kelch in großem Verlnngen
ein heiliges Gefäß zu werden:
erkoren, ein Jch ins All zu geben.

Du reife Traube, dir bin ich Kelch,
daß Gott uns trinke.

Sieh, es geschieht.

Nun wird Winter.

Der Boden hat alles gegeben,
nun ruht er.

Da fliegt ein Lichtschein
wie ein Verwundern
über die Landschaft.

O glaubtest du nicht
und wolltest schelten:

Sieh die unendlich tragenden Jahre.
Boden ruht aus, nimmer versiegt er.

Sieh, noch das Sterben ist Spende.

Nur — versäume dich nicht.

Bist nicht auch du aus Liebe geboren,
sähst nicht auch du über die Erde
das Künftige aus? Sieh, es geschieht.

Oe prokun6i8.

Oualvolles Siechen verdorbenen Wissens,
schwelender Haß gepeinigter Blindheit,
in wimmerndem Moder schuldig Geborene^
all ihr kreischt und johlt um Heil!

Du Nacht überkomme uns
zu dem reinen Tag.

Schrei und Liebe,
gellendes Verzweifeln --
weise Milde

rasen in wallender Pracht
in den Glanz des Lichts,
in das Herz des Lichts.

Pein und Glück
flammen auf. Liebe.

ie Romane und Novellen Albrecht Schaeffers.

Von attischen Gefilden kommt der Lyriker Albrecht
Schaeffer her. Orphische Inbrunst, der Geist Hölderlins, die Seele
des uralten dionysischenHellenentums lebt in seiner von Mythen
und Disionen belebten und bewegten, von tiefsinniger Magie
durchströmten Lyrik. Wer näher prüft, gewahrt hinter dem Über-
schwang der elementaren Gefühle, die von einem hohen Menschen-
und Künstlertum in ihrer so unmittelbar gewonnenen edlen Form
Zeugnis ablegen, noch ein andres, ein sich seiner Kräfte und seiner
Zucht tief bewußtes Künstlertum, einen spekulativen Geist, der
vielleicht nichts weniger sein möchte als dies, der aber doch nichts
anderes sein kann als dies, — der gewahrt hinter dem Rausch,
hinter naturhaftem Weltgefühl, hinter Weltliebe ein schwer mit
sich ringendes Menschentum, den Dämon Mensch. Diese Magie
und Dämonie des Menschlichen, tief empfunden und erkannt im
Naturhaften wie im vegetativen Strome aller Kulturentwicklung,
wahrgenommen in der eigenen Seele, hundertfach erlebt und nie
enträtselt weder im Triebhaften noch im Reingeistigen — ist das
eigentliche Lebensproblem dieses scharfgeistigen hochbegabten
Dichters. In einer menschlichen und persönlichen Synthese erfaßt
er dieses Problem in dem Buche „Iosef Montfort" — (wie alle
Werke Schaeffers im Inselverlag erschienen) in der Figur des
Iosef Montfort und zugleich läßt er das Urproblem in ein Bündel
einzelner psychischer, okkulter, erotischer und krimineller Probleme
zerfallen. In dem Rahmen des Schicksals des Barons Iosef von
Montfort spielen sich Begebenheiten ab, die selbständige Novellen
bilden und doch durch jenes persönliche Band magisch miteinander
verbunden sind. Montfort, der Typus des vergeistigten Aben-
teurers, eine dämonische und doch tiefmenschliche Natur, fühlt
das Bedürfnis, die Welt, die Natur und die menschliche Seele
an sich und an anderen bis in ihre geheimsten mystischen, elemen-
taren und tierischen Tiefen hinein zu erleben, wohl gemerkt, zu
erleben — nicht künstlerisch zu gestalten. Die Erlebniskunst gilt
seinem problematisch-skeptischen Gemüt höher als die schöpferische
Kunst. Er ist ferner ebenso ein Genießer, wie er ein Verzweifelter
ist, ein Nihilist. Cr ist eine ebenso sensible Natur, wie er ein rück-
sichtsloser, auch vor dem Verbrechen nicbt zurückschreckender Willens-
mensch ist. Er steht dem unbegreiflichen Weltgeschehen und den
Rätseln der Menschenseele ratlos und doch überlegen gegenüber.
Cr ist mit allem Satanswerk aufs tiefste vertraut und kniet doch
überwältigt in beiligster Demut vor den Wundern der Natur und
noch mehr vor ihren gewöhnlichsten Einödstimmungen, er wird in
tiefster Seele erschüttert durch die Offenbarung eines reinen
Gemüts, einer gütigen Seele, eines Menschen. Er sucht §er-
streuung und treibt sich umher in allen Ländern der Welt und findet
füßeste Tröstung in einfachen Kindheitserinnerungen. Cr liebt

unbewußt das strahlende lebendige Leben und jede Blume am Wege
und fürchtet nicht den Tod . . . Aber die von ihm so oft markierte
eigentliche Tendenz seines Lebens ist: er sucht das Grauen, er hat
keine Furcht, vor nichts — vor gewalttätigen Menschen nicht und
vor geheimnisvollen Gespenstern nicht, und er geht doch an der
Furcht vor der Furcht zugrunde, nämlich an der fixen Idee, daß
er von einem Doppelgänger verfolgt wird. Diese eigenartige,
von dem Dichter höchst anschaulich und lebensvoll gestaltete Persön-
lichkeit — und diese Gestaltung war wohl aus persönlichen, ich
möchte sagen lyrischen Bekenntnisgründen und aus reiner psycho-
logischer Liebhaberei der Hauptzweck der Dichtung — greift nun
verschiedentlich wie ein Meister, wie ein Zauberer in die Schicksale
anderer Menschen hinein. Und so begleitet ein Kranz origineller
Novellen diefes dämonische Leben, das in Tagebuchform von
Montfort selbst und seinem ebenfalls höchst originellen Diener,
dem Halbchinesen Li, aufgezeichnet wird. Diese Novellen sind
zumeist jene Erlebnisse, bei denen Montfort das „Gruseln lernen"
möchte. Bald handelt es sich um das Problem suggestiver, seelischer
Kräfte, die selbst die Toten durch ihre Energie wieder lebendig
machen, bald um zeitliche Fernwirkungen, um Hellsehen, um daS
zweite Gesicht, bald um Aufklärung rätselhafter Todesfälle und
Unglücksfälle. Oft kommt es darauf an, diese Probleme rein
detektivistisch zu lösen, z. B. in der Meisternovelle „Der gelbe
Flecken". Oft bleiben diese seelischen und okkultistischen Rätsel
ungelöst. In ihrer geheimnisvollen Gespensterstimmung ist wohl
die beste der Novellen die erste des Buches „Die tanzenden Füße".
Sie ist voll balladesker, großer mystischer Stimmung, durchsetzt
von Ahnungen und von einem wahren Reichtum von heroisch-
lyrischer Schönheit (in der Darstellung des einsamen Märchen-
schlosfes auf dem schottischen Felsen usw.). Auch die Novelle „Der
Gettatore" enthält Partien von ganz erstaunlicher Meisterung
unbewußt waltender Seelenkräfte, des Problems der Ubertragung
erotischer Energien, sinnlich-übersinnlicher Liebeskräfte, während
andere Novellen wiederum kleinere Erlebnisse festhalten und in
der tiefen Erfassung der rein menschlichen Natur und in der zartesten
Bloßlegung feelischer Reize ihresgteickwn suchen („Carlos Passada",
„Das Glas Wein" — ein Meisterstück ist die Darstellung des russischen
Apothekers — und „Die arme Seele"). Und über alledem, über
diesem Reichtum an immer plastisch gesehenen und sich hell auö
ihren Tiefen ergründenden Menschen, über der Lebenskunst des
Iosef Montfort und seinen erschütternden Abenteuern wie über
den einfältig-klugen Betrachtungen seines ihn wie einen Gott
verehrenden Dieners Li liegt immer der Glanz lyrischer Schönheit
und Intimität eines zwar oft abschweifenden, aber immer an-
ziehenden, suggestiven persönlickwn Stils: Mit „Iofef Montfort"
setzt Schaeffer die große Reihe der interessantesten Mystagogen
Poe, E. Th. A. Hoffmann — wie letzterer liebt er die Novellen-
 
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