Die Geistigen und die Politik.
dem „aus Urgrund schöpferischen Einzelindividuum" und
dem Unendlichen, da einerseits das Unendliche nur das
Aiel der freien Selbstschöpfung stin kann und ander-
seits das Jndividuum nur im Unendlichen Raum für
seine unbeschränkte schöpferische Entfaltung findet. Die
ethische Haltung des Geistigen, die unbedingt aufs Letzte
geht, die innere Wahrhaftigkeit, nicht aus irgend einer
beschränkten Aweckmäßigkeit bei einem Vorläufigen, noch
endlich Begrenzten, Halt zu machen, nennen wir „Sach-
lichkeit". Es braucht nicht näher ausgeführt zu werden,
daß für den mittelalterlichen Menschen auch der Weg des
Geistes und die Sachlichkeit eine andere ist. Gerade die
Sachlichkeit des heutigen Geistes setzt nun den Geistigen
in Gegensatz zur Politik; nicht zu irgend einer bestimmten
politischen Richtung, sondern zur Politik überhaupt.
Bei der Frage nach dem Wesen der Politik kommt
es uns nicht darauf an, ob Politik eine Kunst oder eine
Wissenschaft ist; überhaupt nicht auf eine Bestimmung
von innen, sondern von außen her. Wir müssen nach
der Grenze der politischen Möglichkeiten fragen, ob die
Politik mit ihren Mitteln fähig ist, aufs Letzte und Ganze
zu gehen; ob sie den Grundsatz der Autonomie des
Geistes in dem unbedingten Sinne, daß alles Wirtschaft-
liche und Politische geistigen Awecken dienen soll, an-
zuerkennen vermag. Das kann die Politik offenbar nicht:
sie ist vielmehr ganz in die Diesseitigkeit eingeschlossen
und ist ihrem Wesen nach die Auseinandersetzung ledig-
lich diesseitiger, praktischer Interessen. Das Praktische
(genauer gesagt: Lebensnotdurst und Lebensgenuß) ist
für die Politik Aweck, nicht Mittel. Damit soll nicht
gesagt sein, daß die Politik sich in der Erreichung verein-
zelter Iiele erschöpft, sondern es widerspricht dem Ge-
sagten nicht, daß sie ein System ausbildet, in dem alle
Einzelziele einem allgemeinen untergeordnet sind. Dieses
letzte Aiel der Politik, das Abstraktum von Lebensnot-
durst und Lebensgenuß, istjedoch nichts Geistiges, sondern
Macht. Politik ist ihrem Wesen nach Machtpolitik, aber
da Macht nicht ein geistiges, überhaupt kein inhaltliches
Aiel, sondern nur das absolute politische Mittel zur
Erreichung der politischen Endziele ist, so liegt es schon
im Begriff der Machtpolitik, daß sie nur endliche, prak-
tische Aiele haben kann. Geistige Dinge lassen sich nicht
mit Machtmitteln erzielen; wenn die Politik sich geistige
Aiele setzt, so geht sie über in Erziehung. Wie die Technik
nur das System der Beherrschung der Naturkräfte, nur
die Ausbildung bestimmter Methoden ist, die ihre Auf-
gaben aus einem andern Aentrum erhalten, so ist in
gleicher Weise die Politik nur die Technik der Beherr-
schung menschlicher, d. h. vitaler Kräfte. Politik ist wie
die Technik eine Steigerung der Vitalität. Die vitalen
Kräfte des Menschen sind der Urtyp aller politischen
Kräfte. Man muß sich aber dabei bewußt bleiben, daß
geistige, sittliche Kräfte ihrem Wesen nach etwas ganz
anderes sind als die vitalen Kräfte. Wenn man, wie das
während des Krieges mehrfach, besonders eindrucksvoll
von Max Scheler, geschah, die Machtpolitik gerade
durch die Rückführung auf den vitalen Grund veredeln
und sittlich rechtfertigen zu können glaubt, so liegt dem
eine im Grund materialistische Verwechslung der sitt-
lichen und der vitalen Kräfte zugrunde. Beide liegen
nicht auf derselben Linie, sondern die vitalen Kräfte
sind nur die physische Bedingung der Träger der sitt-
lichen Kräfte.
Wir können also definieren: Politik ist die Technik
der vitalen Kräste. Sie ist wiejede TechnikimGrunde
rein mechanischer Natur. Das mechanische Grund-
verhältnis ist das von Kraft und Widerstand, das politische
ist dasselbeimMachtverhältnis der politischen Gegner. Das
Aiel der Politik ist ihrem Wesen nach der Erfolg. Erfolglose
Politik ist aus den inneren Gesetzen der Politik heraus
schlechte Politik. Am reinsten, weil sie sich hier fast auf
mathematische Verhältnisse reduziert, ist die politische
Mechanik ausgebildet in der Technik des Krieges, Taktik
und Strategie. Der Krieg :st ja nur dre Fortsetzung
der Polttik mit anderen Mitteln, denen der militärischen
Gewalt. Ein wesentlicher Unterschied zivischen Krieg
und Politik bestekjt daher nicht, und ein Pazifismus, der
nur Gegner des Krieges, nicht Gegner der politischen
Methoden überhaupt ist, trifft nur eine unaufhaltsame
Konsequenz, nicht den Kern der Sache. Jede Machtt
politik muß,je reiner sie ihr System ausbildet, in Militaris-
mus und militaristischen Jmperialismus übergehen.
Mit den mechanischen Mitteln der Politik lassen sich
nur endliche, praktische Erfolge erzielen, denn Mittel
und Aiel bedingen sich immer gegenseitig. Endliche
Aiele sind ihrer Natur nach immer einseitig, egoistisch,
Aiele des Jch, ohne die Ergänzung durch das Du, Aiele
von Jnteressentengruppen, seien es persönliche Gegner,
wirtschaftliche Konkurrenten, politische Parteien oder
Nationalstaaten. Politik ist also die Auseinandersetzung
zweier Gegner im Kampf um ihre „Jnteressen" gerade
dann, wenn jeder der Gegner nur sein eigenes Interesse
im Auge hat und alle ihm zu Gebote stehenden Mittel
dafür einzusetzen entschlossen ist, um sein Interesse durch-
zusetzen. Wo es zu einer solchen Auseinandersetzung
gar nicht komntt, weil der sittliche Verständigungswille
der Gegner einen Jnteressengegensatz gar nicht ent-
stehen läßt, reden wir auch nicht von Politik.
Beim Streit der Jnteressen ist freilich noch ein
Unterschied möglich: Die Gegner könncn ihr Iiel durch
ein über ihnen stehendes und sie verbindendes sittliches
Gesetz bestimmt und begrenzt sein lassen oder sie können
es „realpolitisch" allein nach dem Maß der ihnen zu
Gebote stehenden Machtmittel begrenzen. Das Wesent-
liche des ersten Falles, des Rechtsstreites, liegt darin,
daß die politischen Aiele nicht von den egoistischen An-
sprüchen, sondern von einem überegoistischen Maßstab,
dem Rechte, abhängig gemacht werden, während im
zweiten Fcttle, beim reinen Machtstreit, die Gegner ihre
politischen Aiele allein nach Maßgabe dessen, was sie
zu erreichen vermögen, begrenzen; an sich sind die beider-
seitigen Aiele unbegrenzt, maßlos, denn jeder sucht das
Höchstmögliche durchzusetzen. Es ist unschwer zu er-
kennen, daß der Unterschied zwischen dem Rechtsstreit
und dem Machtstreit zusammenfällt mit dem Unter-
schied des Geistes des Mittelalters und unserer Aeit.
Die Politik als Rechtsstreit oder (um an Fr. W. Försters
„Politische Ethik" anzuknüpfen) die „föderalistische"
Politik, die auf dem gemeinsamen Willen der Gegner
zur sachlichen Ubereinkunft und Unterordnung unter
ein den egoistischen Ansprüchen übergeordnetes sittliches
Gesetz beruht und also die Macht in den Dienst dcs
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dem „aus Urgrund schöpferischen Einzelindividuum" und
dem Unendlichen, da einerseits das Unendliche nur das
Aiel der freien Selbstschöpfung stin kann und ander-
seits das Jndividuum nur im Unendlichen Raum für
seine unbeschränkte schöpferische Entfaltung findet. Die
ethische Haltung des Geistigen, die unbedingt aufs Letzte
geht, die innere Wahrhaftigkeit, nicht aus irgend einer
beschränkten Aweckmäßigkeit bei einem Vorläufigen, noch
endlich Begrenzten, Halt zu machen, nennen wir „Sach-
lichkeit". Es braucht nicht näher ausgeführt zu werden,
daß für den mittelalterlichen Menschen auch der Weg des
Geistes und die Sachlichkeit eine andere ist. Gerade die
Sachlichkeit des heutigen Geistes setzt nun den Geistigen
in Gegensatz zur Politik; nicht zu irgend einer bestimmten
politischen Richtung, sondern zur Politik überhaupt.
Bei der Frage nach dem Wesen der Politik kommt
es uns nicht darauf an, ob Politik eine Kunst oder eine
Wissenschaft ist; überhaupt nicht auf eine Bestimmung
von innen, sondern von außen her. Wir müssen nach
der Grenze der politischen Möglichkeiten fragen, ob die
Politik mit ihren Mitteln fähig ist, aufs Letzte und Ganze
zu gehen; ob sie den Grundsatz der Autonomie des
Geistes in dem unbedingten Sinne, daß alles Wirtschaft-
liche und Politische geistigen Awecken dienen soll, an-
zuerkennen vermag. Das kann die Politik offenbar nicht:
sie ist vielmehr ganz in die Diesseitigkeit eingeschlossen
und ist ihrem Wesen nach die Auseinandersetzung ledig-
lich diesseitiger, praktischer Interessen. Das Praktische
(genauer gesagt: Lebensnotdurst und Lebensgenuß) ist
für die Politik Aweck, nicht Mittel. Damit soll nicht
gesagt sein, daß die Politik sich in der Erreichung verein-
zelter Iiele erschöpft, sondern es widerspricht dem Ge-
sagten nicht, daß sie ein System ausbildet, in dem alle
Einzelziele einem allgemeinen untergeordnet sind. Dieses
letzte Aiel der Politik, das Abstraktum von Lebensnot-
durst und Lebensgenuß, istjedoch nichts Geistiges, sondern
Macht. Politik ist ihrem Wesen nach Machtpolitik, aber
da Macht nicht ein geistiges, überhaupt kein inhaltliches
Aiel, sondern nur das absolute politische Mittel zur
Erreichung der politischen Endziele ist, so liegt es schon
im Begriff der Machtpolitik, daß sie nur endliche, prak-
tische Aiele haben kann. Geistige Dinge lassen sich nicht
mit Machtmitteln erzielen; wenn die Politik sich geistige
Aiele setzt, so geht sie über in Erziehung. Wie die Technik
nur das System der Beherrschung der Naturkräfte, nur
die Ausbildung bestimmter Methoden ist, die ihre Auf-
gaben aus einem andern Aentrum erhalten, so ist in
gleicher Weise die Politik nur die Technik der Beherr-
schung menschlicher, d. h. vitaler Kräfte. Politik ist wie
die Technik eine Steigerung der Vitalität. Die vitalen
Kräfte des Menschen sind der Urtyp aller politischen
Kräfte. Man muß sich aber dabei bewußt bleiben, daß
geistige, sittliche Kräfte ihrem Wesen nach etwas ganz
anderes sind als die vitalen Kräfte. Wenn man, wie das
während des Krieges mehrfach, besonders eindrucksvoll
von Max Scheler, geschah, die Machtpolitik gerade
durch die Rückführung auf den vitalen Grund veredeln
und sittlich rechtfertigen zu können glaubt, so liegt dem
eine im Grund materialistische Verwechslung der sitt-
lichen und der vitalen Kräfte zugrunde. Beide liegen
nicht auf derselben Linie, sondern die vitalen Kräfte
sind nur die physische Bedingung der Träger der sitt-
lichen Kräfte.
Wir können also definieren: Politik ist die Technik
der vitalen Kräste. Sie ist wiejede TechnikimGrunde
rein mechanischer Natur. Das mechanische Grund-
verhältnis ist das von Kraft und Widerstand, das politische
ist dasselbeimMachtverhältnis der politischen Gegner. Das
Aiel der Politik ist ihrem Wesen nach der Erfolg. Erfolglose
Politik ist aus den inneren Gesetzen der Politik heraus
schlechte Politik. Am reinsten, weil sie sich hier fast auf
mathematische Verhältnisse reduziert, ist die politische
Mechanik ausgebildet in der Technik des Krieges, Taktik
und Strategie. Der Krieg :st ja nur dre Fortsetzung
der Polttik mit anderen Mitteln, denen der militärischen
Gewalt. Ein wesentlicher Unterschied zivischen Krieg
und Politik bestekjt daher nicht, und ein Pazifismus, der
nur Gegner des Krieges, nicht Gegner der politischen
Methoden überhaupt ist, trifft nur eine unaufhaltsame
Konsequenz, nicht den Kern der Sache. Jede Machtt
politik muß,je reiner sie ihr System ausbildet, in Militaris-
mus und militaristischen Jmperialismus übergehen.
Mit den mechanischen Mitteln der Politik lassen sich
nur endliche, praktische Erfolge erzielen, denn Mittel
und Aiel bedingen sich immer gegenseitig. Endliche
Aiele sind ihrer Natur nach immer einseitig, egoistisch,
Aiele des Jch, ohne die Ergänzung durch das Du, Aiele
von Jnteressentengruppen, seien es persönliche Gegner,
wirtschaftliche Konkurrenten, politische Parteien oder
Nationalstaaten. Politik ist also die Auseinandersetzung
zweier Gegner im Kampf um ihre „Jnteressen" gerade
dann, wenn jeder der Gegner nur sein eigenes Interesse
im Auge hat und alle ihm zu Gebote stehenden Mittel
dafür einzusetzen entschlossen ist, um sein Interesse durch-
zusetzen. Wo es zu einer solchen Auseinandersetzung
gar nicht komntt, weil der sittliche Verständigungswille
der Gegner einen Jnteressengegensatz gar nicht ent-
stehen läßt, reden wir auch nicht von Politik.
Beim Streit der Jnteressen ist freilich noch ein
Unterschied möglich: Die Gegner könncn ihr Iiel durch
ein über ihnen stehendes und sie verbindendes sittliches
Gesetz bestimmt und begrenzt sein lassen oder sie können
es „realpolitisch" allein nach dem Maß der ihnen zu
Gebote stehenden Machtmittel begrenzen. Das Wesent-
liche des ersten Falles, des Rechtsstreites, liegt darin,
daß die politischen Aiele nicht von den egoistischen An-
sprüchen, sondern von einem überegoistischen Maßstab,
dem Rechte, abhängig gemacht werden, während im
zweiten Fcttle, beim reinen Machtstreit, die Gegner ihre
politischen Aiele allein nach Maßgabe dessen, was sie
zu erreichen vermögen, begrenzen; an sich sind die beider-
seitigen Aiele unbegrenzt, maßlos, denn jeder sucht das
Höchstmögliche durchzusetzen. Es ist unschwer zu er-
kennen, daß der Unterschied zwischen dem Rechtsstreit
und dem Machtstreit zusammenfällt mit dem Unter-
schied des Geistes des Mittelalters und unserer Aeit.
Die Politik als Rechtsstreit oder (um an Fr. W. Försters
„Politische Ethik" anzuknüpfen) die „föderalistische"
Politik, die auf dem gemeinsamen Willen der Gegner
zur sachlichen Ubereinkunft und Unterordnung unter
ein den egoistischen Ansprüchen übergeordnetes sittliches
Gesetz beruht und also die Macht in den Dienst dcs
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