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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 4
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Keyssner, Gustav: Der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofes
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0187

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Bonatz u. Scholer. Der neue Hauptbalmhof in Stuttgart, Hauptansicht von der Schillerstraße.

Der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs.

H ^ nter den vier deutschen Königsstädten (die nun frei-
! !> lich keine Königsstädte mehr sind) hat Stuttgart

allein eines ehrenden Nebentitels entbehren müs-
sen, wie ihn Journalismus, Selbstironie und Bildungs-
philisterium des vorigen Jahrhunderts den drei übrigen
beigelegt hatten. Neben Spree-Atben, Jsar-Athen und
Elb-Florenz steht das bescheidene Strlttgart ohne klang-
vollen Beinamen, wenn man nicbt als solchen die
„Beckenstadt" (Bäckerstadt) gelten lassen irülst wie es
noch heute manchmal boshaft genannt wird und einst
vom alten Vischer hnmorvoll und reimgewandt besungen
wurde. Und docb haben schon viele, die von der Neuen
Weinsteige, Etzels prachtvoller Straßenbauschöpfung,
nach der Stadt herrnrtersahen, sie unwillkürlich rnit
Florenz verglichen, wobei besonders die Neue Wein-
steige selbst, als Stuttgarter viule clei collst und der
nächtliche Blick von Degerloch auf das Lichtergeflimmer
im Tal und an den Hügelhängen, an den Blick von Fiesole
ins Arnotal erinnernd, das tertinm compurutionis ab-
gaben. Niemand aber, der den Vergleich wagt, vermag
einen Seufzer darüber zu unterdrücken, daß diesem
Beinahe-Florenz neben einigem andern eben der Arno
fehlt, derrn der Neckar, Hölderlins „geliebter Strom",
fließt außerhalb des Stuttgarter Kessels in seinem hier
bezaubernd schönen, südlich hellen und milden Tal dahin;
der Nesenbacb aber, Stuttgarts eigentliche Wasserader,
bleibt, zurn überbrückten Graben degradiert, fast in der
ganzen Länge seines kurzen und ruhmlosen Laufes dem
Auge verborgen. Und wie dem landschaftlichen Bild
Stuttgarts der Arno, so fehlt seinem Architekturbild die
Domkuppel. Diesen Mangel hat wenigstens ein fremder
Betrachter vor ein paar Iahren empfunden, und er hatte

ganz recht damit. Dem Gewirr der Dächer — und was
sür abscbeuliche moderne Dächer haben längst die schönen,
charaktervollen der alten Giebelhäuser überwuchert und
zurückgedrängt! — dem Dächergewirr fehlte es, von der
Höhe gesehen, an Betonrnrgen rmd Iusarrrnrenfassrmgen
durch starke, nachdrücklich akzentuierende Türme oder
hochragende andere Monumentalbarrten. Die ivuchtigen
Rrmdtürnre des nralerischen Alten Schlosses sind, unr zu
donrinieren, nrit denr Barimassiv, das sie trotzig und be-
habig bewachen, zrr eng verbunden, zu weich in das
üppige Grün alter Baunrwipfel gebettct, die schöne
breit entfaltete Gruppe des Residenzschlosses rmd der
Alten Akadenrie nrit ihren Höfen wirkt nur als horizon-
tale Lagerrnrg, und die wenigen Kirchtürme, zunr Teil,
wie die der Stistskirche, an sich originell rmd zierlich,
werden, von oben gesehen, von denr rmrnhigen Hinter-
grrmd der nrit Hausern rmd Grün in freundlichenr Ge-
nrisch bestandenen Hügel förmlich aufgeschluckt, rmd das-
selbe Schicksal haben natürlich auch rind erst recht die
Türme, mit denen man ein paar in den letzten Jahr-
zehnten errichtete Privatbauten versah, in der bewußten
Absicht, denr Turmmangel abzuhelfen. Nrm, eine „Donr-
krippel" hat Stuttgart aricb herite noch rricht; aber ein
Architekturgebilde, das der Stadtansicht sür den Blick
von allen Seiten einerr krastvollen vertikalen Akzent, eine
beherrschende Note einfügt, würde jener Frenrde heute
mit Befriedigrmg benrerken: einen mächtigen, vier-
eckigen Trirmllctz von geschlossener Massigkeit, dabei
ader aucb von scböner Gliederung. Jnr nördlichen
Teil der Stadt, rmmittelbar neben den Bäumen der
„Anlagen", den übrigen größeren inr Stadtbild nrit-
sprechenden Baulichkeiten fern genug, unr sie neben sich

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