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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 4
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Keyssner, Gustav: Der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofes
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0189

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wirkliche Ruhe und Größe zu gebeu. An Bahn-
höfen wie denen von Karlsruhe und Darmstadt
beispielsweise ist die sachlich gegebene breite
horizontale Lagerung nicht so bewaltigt, daß sie
nicht gedrückt oder ein wenig, breitgeslossen an-
mutete; und wenn das Ornamentale maßvoll
verwandt ist, so fehlt ihm doch die durchgehende
innere Einheitlichkeit. An dieser gebricht es im
Grunde auch denr in den Maßstaben gewaltigen
und nicht bloß durch seine Abmessungen großen
Leipziger Neubau. Gewiß imponiert hier z. B.
die O.uerbahnsteighalle als Raumgebilde von
gcwaltigen Ausmaßen oder die >venn auch wcni-
ger umfangreiche Eingangshalle; aber wie zer-
reißt schon die Verschiedenheit dcr Lichtösfnringen
den Raumeindruck!

Bonatz u. Scholer. Der Stuttgnrter Hauptbrluihof, Ansichtoon Osten.

Kehren rvir nach diesenr flüchtigen Unrblick
zunr Stuttgarter Bahnhof zurück, so enrpfinden
>vir inr Gegensatz zu den von rms gestreisten
Beispielen zweierlei doppelt deutlicb: wie das
Eintönige, Niederziehende der langgedehnten
Horizontalen, die nun einnral bei Bahnhoss-
anlagen eirr rnrvermeidlicber Faktor sind, hier
darrk der starken Gegenbetonrrng der Vertikalen
irr der Jnrrengliederung rrrrd, drrrch die Höhe
der Gebaude und besonders drrrch den beherr-
schenden Trrrm, arrch im Unrriß des Ganzen
überwunden ist und wie die Einheitlichkeit der
sormalen Mittel bis in alle Einzelheitcn hincin
diese cben dem Ganzen unterordnet — eine
Hauptbedingung für große, geschlossene, stilvolle
Wirkung.

Das crste Moment macht sich besonders sür das Stadt-
bild geltend. Wie der Trirnr rind die Masse der übrigen
Baulichkeiten dos Fernbild rinr ein machtiges Komposi-
tionsglied bereichern, so sind sie auch für das innere
Straßenbild, soweit sie an ihnr tcilbaben, bedeutend und
entscheidend. Das neue Bahnhofsgebaude liegt zurKönigs-
straße, der Hariptader des stadtiscben Verkehrs, so, daß
deren Blickachse nicht etwa zur Mitte der Hariptfront, son-
dern auf seine östlicheEcke binführt. Danrit war, wenn sich
nicht ein ganz strinrpfer, toter Abscbluß ergeben sollte, eine
kräftig betonte Ecklösung gefordert. Als ein paar Jahre
früher anr andern, denr nördlichen (oberen) Ende der
Königsstraße ein großcs neues Restaurant- und Geschafts-
haus errichtct wurde, da war nran sich der gleichen Forde-
rung bewußt geworden rind hatte darrinr schon diesenr
Bari einen hinter der Hauptfassadenecke aussteigenden
Turm gegeben, der freilich aussieht, als sei er mit tasten-
den Handen unsicber gefornrt und nach langerem Hin-
rind Herscbieben dann docb an einen falschen Punkt
gestellt >vorden. Wenn der Blick sich von diesenr ver-
fehlten Abschluß des oberen Endes der Straße denr
rinteren zuwendet, wie anders wirkt da das Aeichen des
Bahnhofstrirnres auf ihrr ein! Ein ,,point cke vue" idealer
Art, dies massige und doch so elegant geglicderte, trotzig
wucbterrde rirrd stolz emporstrebende Gebilde. Das
machtige Aifferblatt unterhalb des hohen, schlank auf-

gcteilten Fensters inr obersten rind über den lukenbaft
klein erscheinendcrr (nur erschcinenden!) Fenstern der
untern Gescbosse legitimiert den Riesen sür den, der ihn
nacb seiner praktischen Eristenzberechtigung fragen möcbte,
als Uhrtrirm. Ahnlich habcn Eursel und Moser, die Archi-
tekten des Badischen Bahnhofs in Basel, ihren Bari,
einen der geschmackvollsten rind gclringenstcn untcr dcn
modernen Babnhöfen, mit einem stattlichen Ubrturnr,
gleichfalls als optischen Abscbluß einer arif die Babnhof-
front zrisührcnden Straße, geschmückt, der übrigens, dcnr
ganz anders gehaltenen- Stil der Basler Anlage ent-
sprechend, mit denr Eigcn- und Einzigartigen, nran darf
rvohl sagen: Elementaren des Stvltgarter Turms in
keiner Weise konkurriererr rnd sicb verglcicberr rvill. Dies
Elerncntare, Naturhaste unsercs Trirmes cmpfindct rnan
schon, wcnn nran sich ihm von der Königsstraße her
nahert und ihrr zu beiden Seiten von den rrihig bürger-
lichcn, städtisch gemäßigten Fassaden der Straße r m-
rahnrt sieht; es drängt sich uns aber noch viel siärker auf,
wcnn rvir den Ricsen ctwa vonr Hofe des früheren könig-
lichen Marstalls aus erblickcn, wie er dessen lange,
niedrige Bavlicbkeiten überragt, oder wenrr uns sein ober-
stes Geschoß mit denr strenglinigen Abscbluß über den
Wipfeln der „Anlagen" entgegenschinrmert. Und wenn
wir seine Steinnrasse anr Leberr der Atmosphäre und des
Lichtes teilnehmen und sich selbst wie von innen heraus

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