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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 4
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Keyssner, Gustav: Der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofes
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0190

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Bonatz u. Scholer. Der Ctuttgarter Hauptbahrchof. Detail vom Empfangsgebäude.

beleben sehen in den resigen Tönen des Morgens oder

inr goldenen Leucbten cines sonnigeit Mittags^ dann
offenbart sich uns aus unmittelbarer Anscbauung heraus
das höchste schöpferische Glück der Architektur: in streng
gesetzmaßigem Schaffen Werke bervorzubringcn^ die
durch das Organische ihrer zweckbedingten Eristenz, durch
die Machtigkeit ihres von innen heraus gegliederten
Volumens^ durcb die Bestandigkeit ibres Materials zu
Gebilden der Natur iverden^ mit Landschaft und Atnro-
sphäre verwacbsem

Solcbe Naturwerdrmg ist unr so geheimnisvoller rmd
erstaunlichech als sie niemals Bauten zuteil wird, die
beivußt nacb ibr trachten^ die es mit lautem Kraft-
aufwand der allinachtigen Natrir gleichzutun oder nrit
spieleriscben Mittelchen sich der intimenNatur anzuahneln
sucherr. Wie Tuffsteingrotten urrd Muschelwerkirischerr stets
nur hübsche urrd niedliche Gartendekoration bleiben^ deren
naturalistisches Material gegen das wirkliche Leben von
Pflanzen und Wasser inrmer naturfrenrd und oft eigen-
tümlich prickelndp aber nie rvirklich echt berührt, so sind
architektonische Denkmälerp die durcb Massigkeit Monu-
mentalitäch durch absichtliche Primitivität heroische Stim-
mung erstreben, imnrer unnütz vertaner Aufwand. Was
ist die Riesenmißgeburt des Völkerschlachtdenknrals^ das
auf der langweiligen Ebene bei Leipzig lastech gegen den
bcscheidenen Bau der Befreiungshalle, der aus der Wald-
und Flußeirrsamkeit der Donau bei Kelheim still und ernst
sich erhebt? Kann eine der schweren Bismarcksäulen
von oder nach Kreis bei aller gewollten Trutzigkeit sich
nressen nrit der scblank urrd siegreich aufstrebenden Krast
des arcbitektonisch so völlig durchgegliederten Bisnrarck-
denknrals von Theodor Fischer anr Starnberger See?
oder etrva das Kaiserdenkmal an der Porta Westphalica
und das auf denr Kyffhäuser mit dem Entrvurf von Paul

Bonatz für das Bismarckdenk-
mal bei Bingen? — Da hc>-
ben wir auch den Nanren ge-
nannt, der nrit dem Stuttgarter
Bahnhofneubau irrrmer ver-
knüpft bleiben wird. Jn Gc-
meinschaft mit seinem bewähr-
ten Mitarbeiter I. E. Scholer
hat Professor Borratz in Stutt-
gart auch dies Werk entworfen
und der Vollendung so weit ent-
gegengeführt, wie wir es heute
gediehen sehen.

4c 4c

4

Es ist eine stattliche Reihe
zum Teil sehr bedeutsamer, klug
und geistvoll gelöster Bauauf-
gaberr, an derren Bonatz seine
architektonische Persönlichkeit
entwickelt und bewährt hat; es
seierr rrur als Etappen seirrer

Entwicklurrg bis zri der im
Stuttgarter Babnbof erreicbten
Höhe die Sektkellereianlagerr

für Henkel bei Biebricb rind die

Universitätsbrblicthek in Tübin-
gen genannt. Werrn frühe Arbeiten^ wie in Stuttgart
die Lerchenrainscbule rroch daran erinnern^ daß Bonatz
aus Theodor Fischers Schule hervorgegangen ist, so
konnte der Entrvurf zri dem Münchrrer Polizei-

gebäude^ mit dem er inr Wettbewerb unterlag, an-
schauliches Vergleichsmaterial für seine selbständigch
in prinzipiellen Fragen und in der architektorrischen
Formsprache inrnrer weiter vorr seinenr ehemaligen

Lehrer wegführerrde Entwicklurrg bieten: ist doch Fiscber
als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgegarrgen und
erhebt sich heute das von ibm ausgeführte Bauwerk
an einer der städtebaulich wichtigsterr Stellen des alten
München. Der Fischerscbe Bau ist mit liebevoller Pietät
und fein abwägerrder Hand auf seine Umgebung ab-
gestimmt und ausgeglichen, an die Münchner und all-
gcrrreiner an die oberbayrische Formspracbe etwa der
Spätrenaissance frei und doch wohlbedacht anknüpfend.
Mit offencm Nachdruck lehnte dagegen Bonatz in
seinenr Entwurf eine derartige Rücksichtnahme auf die
örtliche Umgebung und die baulicb-kulturelle Tradition
ab. Er wollte Sohn seiner Aeit sein und als solcher sich
in seinenr Werk bekennen im Gegensatz zu Fischers Art,
die mehr malerisch ist, richtiger: die kraftvolle kubische
Grurrdgestaltung mit heimatlichem Geist und der Witte-
rung vorelterlicher Tage erwärmt und farbig machch
betonte er die Anpassung an die Forderungen der
Gegenwart und seirre persönliche Neigung zu eleganter
Sachlicbkeit^ die sich dcmKlassizirmus inncrlichverwandt
sühlte. Jn dieser Verwandtschaft liegt die Rechtfertigung
für den Künstler, wcnn er auf den Klassizismuch er wird
darum nicbt unmodern, weil er einen Stil der Ver-
gangenheich nicbt undeutsch^ iveil er einen ursprürrglich
ausländischen Stil beinr Disponieren im Großen und
beinr Durchbilden des Einzelnen auf sich wirken läßt,

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