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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 30.1920

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Heft 4
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Keyssner, Gustav: Der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofes
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https://doi.org/10.11588/diglit.26486#0193

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einzelnen Achsen vertikal anfgeteilt; darüber, wie in der
Hanptflucht, wieder die Rristikaflache des vierten Stockes
nrit den kleineren Fenstern, dessen attikaartige Wirkung
dnrch dieses gleichmaßige Weiterlaufen sehr verstärkt
wird. — Und ebenso scheinbar selbstverstandlich wie ein-
dringlich belebend der Gegensatz z>vischen der rauhen,
malerischen Rustika und dem geglatteten Steinwerk der
Fensterflachen mit der zeichnerisch klaren, knappen und
schnittigen Profilierung der Fensterrahmen rmd -bänke,
denr einfachen und doch — als einziges Rund in diesem
Reich des Rechtwinkligen — so bedeutsamen Schmrick der
Fensterbrüstungen im zweiten Obergescboß.

Den Geifch der aus den Fastaden sprichch treffen wir
im Jnnern wieder. Den starken kubischen Wirkungen, die
uns die Außenansichten vermitteln, entsprechen hier die
nräcbtigen Raumeindrücke, bervorgebracht durch dieselben
Mittel einer sachgemäßen, die Sache aber groß erfassen-
den Einfachbeit. Einen solchen Eindruck kann rms schon
irn heutigen Banzustand die Babnsteighalle vermitteln.
Natürlich sind es nicht, oder doch nicht allein, die absoluten
Maße, die sie groß erscheinen lassen. Das uns schon von
den Fassaden her vertraute Prinzip, die Unrrißlinien
wie die Flächen sich in ibrer Richtungstendenz möglichst
ausleben zu lassen, kommt hier besonders den Bogen-
systemen zuguteMie in den Langwänden Oberlichtfenster
und Iu- bzw. Ausgänge zusanrmenfassen, Fenster-
und Torleibungen durch keine Gesimse und Sockel in
ihrem Vsülauf unterbrechen; und danrit ist denr Raurry
der jetzt 80 Meter Länge hat, rrach der Fertigstellung des
ganzen Bahrrhofs aber doppelt so lang seirr rvird, auch
dann noch seirre inrposante Höhenrvirkung gesichert (die
Höhe beträgt 17, die Breite 20 Meter).

Noch gewaltiger aber spricht die Schalterhalle unser
Raumgesühl an. Jn der großen Stimmung, die sie
rverrigstens jetzt noch, ungestört durch hastendes, drängen-
des Menschengewimmel, denr Eintretenden vermittelt,
rvürde fast ein Mißverhältnis zu ihrer praktischen Be-
stimnrung liegen, wenn diese Stimnrung irgendwie durcb
poetisierende, kirchliche oder historische Erinnerungen
weckende Mittel hervorgerufen würde, wie feierlicbe
Farben, gedämpft buntes Licbt, romanische oder gotiscbe
Stilreminiszenzen. Aber nichts von alledem! Die Haile
ist ganz hell, durch jenes riesige Rundbogenfenster in der
Stirnwand und je eine Reihe hoch angebrachter, schmaler
Fenster in den Seitenwänden nrit gleichmäßigem Licht
erfüllt, die Wände nrit schön behauenenr und gefugtem,
hellem Stein bekleidet, die flache Balkendecke sogar nrit
einenr linear beinahe prickelnd lebendigen Muster (in
den Farben schwarz-weiß-rct) bemalt, der einzige pla-
stische Schnruck ein überlebensgroßer Wappenbalter von
I. Brüllnrann (im ersten Augenblick denkt nran an Dona-
tellos St. Georg), flankiert von den württembergischen
Wappentieren, Löwe und Hirsch. Es ist also auch hier
kein von außen herangebrachtes Stimmungmachen, son-
dern die Ruhe der Linien und Flächen, die Harmonie der
Proportionen, die natürlicbe Schönheit des Materials,
was den Nutzbau in die Sphäre der „absoluten" Kunst
erhebt. (Die Maße der Halle sind: Höhe 26, Breite 22,
Länge 48 Meter; das große Fenster ist inr Scheitelpurrkt

des Bogens 17 Meter hoch). Die Ruhe und Klarheit der
Raumrvirkung wird vor allenr dadurch mit den Forderurr-
gen des Awecks versöhnt, daß die Schalter nicht käfig-
artig vorspringen, sondern ganz irr und hinter die Wand-
fläche zurückgezogen sind; und als ein positives, sehr dank-

Bonah u L-choler. Der Ctuttgarter Hauptbahnhofi Querschnitt
durch den Turm.
 
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